Das Verständnisproblem

Hören Sie, es ist mir schon ein wenig peinlich, was mir da unlängst passiert ist. Aber wir sind hier ja unter uns; behalten Sie also für sich, was ich Ihnen gleich gestehe

Als ich heute morgen nach dem Aufstehen beim Bäcker für ein paar Semmeln, Brötchen, oder Laiwerln anstehe, finde ich mich unverhofft eingeklemmt zwischen der Frau Berber, die im Erdgeschoß meines Wohnturms residiert, und dem netten Fräulein Schnuck, die im Dritten schräg unter mir wohnt. Und wie wir so nachbarlich beisammenstehen, entsteht natürlich ein Gesprächerl. Wir plaudern und stehen herum, bis endlich alle vor uns dastehenden Sonntagsbäckerkunden an der Reihe gewesen sein mögen.
Und da passiert es. Die Frau Berber wirft ein: „Gut, dass ich Sie treff‘, Herr Wortmischer! Ich hab nämlich von der Post ein Packerl angenommen für Sie. Wenn Sie mit Frühstück fertig sind, steht das für Sie bei mir bereit.“

Ich sag Dankeschön und denk mir nichts dabei, und wir stehen noch ein bisserl umher in der Bäckereiwarteschlange. Auf einmal legt die Berber nach, stellt sich auf die Zehenspitzen und rückt an mich heran, bis ich ihren warmen Atem am Ohr spüre, und flüstert: „Es tut mir ja leid, weil das Packerl hat mein Sohn angenommen und hat mir nix gesagt. Und dann bin ich heim gekommen, hab das Packerl gesehen, nicht auf die Adress‘ geschaut und aufgemacht, weil ich mir gedacht hab, es wär für mich. Ein Missverständnis, ehrlich.“

Da wird mir auf einen Schlag ganz heiß, und das Fräulein Schnuck fragt verwundert: „Ist Ihnen nicht gut, Herr Wortmischer? Sie sind ja auf einmal ganz rot im G’sicht!“

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Recht hat sie, das Fräulein Schnuck aus dem dritten Stock. Mir ist ganz und gar nicht gut. Es fällt mir nämlich ein, was in dem Packerl drin sein muss. Der Himmel steh mir bei! – Denn als modebewusster Herr nehme ich ja gerne Anregungen auf, hinsichtlich Stilfragen, meine ich. In diesem Falle las ich einen Hinweis von Frau Moggadodde in diesem Internetz.

Durex Classic JeansAlso hab ich im Online-Kaufhaus ein Schachterl Kondome im Jeanslook erstanden. Lachen S‘ nicht! Das trägt mann scheinbar heutzutage! Und die Berber hat das Schachterl ausgepackt. Wie steh ich denn jetzt da?

Die Frau Berber ist ja an und für sich eine ganz nette Frau; unbemannt, ungefähr so alt wie ich und immer freundlich. Nur diesen Sohn, der mit dreißig noch bei der Mutter wohnt, den kann ich nicht ausstehen, diesen sauertöpfischen Taugenichts. Bei meinem Glück macht mir nachher bestimmt dieser Schluffi die Tür auf und grinst mich blöde an, weil er weiß, dass ich weiß, dass er weiß, was ich untenrum trage, wenn es spannend wird im Hause Wortmischer.

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Es besteht keine Veranlassung, unangenehme Dinge aufzuschieben. Das macht es meist nur noch schlimmer. Also würge ich mein Frühstückssemmerl hinunter und marschier ins Erdgeschoß, vierundfünfzig Stufen bis zur berberschen Wohnung.
Ich habe Glück: Es ist die Haushalts-Vorständin selbst, die mir öffnet. Sie hält mir das braune Pappschachterl vom Amazonas mit dem abstehenden Deckel entgegen. Ich flüstere nochmal mein Dank’schön und will mich schnell davonmachen, bevor meine Gesichtsfarbe wieder ins Tomatige mutiert. Doch Frau Berber hält mich am Ellenbogen fest. Ein verschwörerischer Blick trifft mich mitten ins Auge.
„Es geht mich ja nix an.“ Jetzt flüstert auch die Berber. „Ich hätte ja nicht gedacht, dass Ihnen sowas gefällt, Herr Wortmischer. Aber ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: Ich bin auch immer noch ein ganz großer Fan! Und da hab ich mir gedacht, vielleicht könnten wir beide ja mal gemeinsam …“

Als die Berber meinen entsetzten Blick sieht, verstummt sie mitten im Satz. Aber beide wissen wir, was sie hat sagen wollen. Mir stehen die Haare zu Berge bei der Vorstellung, die Berber und ich … – Untersteh Dich, das hier womöglich noch auszuschreiben!

Grußlos steige ich wieder nach oben, klappe die Wohnungstür zu und das Päckchen auf. Entgeistert starre ich auf eine CD: Ludwig Hirschs „Dunkelgraue Lieder“, die ich vor einer Ewigkeit bestellt und längst vergessen hatte. – „I liag am Ruckn“, denk ich und dabei an die Berber.

In unseren Köpfen drin sind wir komplizierte Wesen. Versteh einer die Menschen!

[lightgrey_box]Das ist mein Beitrag zum dreizehnten Stichwort im Schreibprojekt *.txt. Die Textbeiträge zu allen anderen Stichworten, sowie Links zu den Projektseiten findet man nach einem Klick auf „Mein *.txt“.[/lightgrey_box]

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12 Kommentare

    1. Na gut, natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich das vermeintliche Problem in Wohlgefallen aufgelöst hat. Aber zumindest hält mich die unschuldige Frau Berber jetzt für einen Sonderling. Und womöglich bin ich das ja auch?

    1. An Nähte und Nieten! Genietete Nähte! Aber Frau Lakritze, versteh ich recht? … Lassen Sie bloß Ihren Nachbarn in Ruhe!

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