Verwählt

Janosch: Das kam noch nicht vor.

„Um ein anständiger Mensch zu bleiben, muss man zunächst anständig sein. Das kam aber noch nicht vor.“ – Da hilft nur eines: Man wechselt seine Identität und wird ein ganz anderer Mensch.

~

Telefon: Dingelingeling! – (Klaus nimmt den Hörer ab.)

Klaus: Ja bitte?

Stimme am Telefon: Maria! Ich bin’s. Entschuldige, dass ich noch so spät anrufe, aber …

K: Moment, bitte. Sie haben sich verwählt.

S: Verwählt? Ich habe mich verwählt?

K: Ja.

S: Bist Du sicher?

K: Natürlich bin ich sicher. Hier gibt es keine Maria.

S: Und es wäre nicht möglich, dass Du Dich täuschst und in Wirklichkeit Maria heißt?

K: Hören Sie mal, wie sollte ich mich bitte ein einer solchen Angelegenheit täuschen.

S: Na ja, es ist nämlich so, dass ich mich so gut wie niemals täusche. Das letzte Mal war im Jahr 2005, als ich dachte, es wäre kompletter Schwachsinn, dass Mobiltelefone eine Kamera hätten, dass das ja überhaupt keinen Sinn macht.

K: Tja, dann ist Ihre Strähne jetzt wohl gerade zu Ende gegangen. Sie haben sich in der Telefonnummer getäuscht. Und in der Person.

S: Du bist also nicht Maria? Meine Cousine Maria?

K: Was für ein Quatsch! Ich heiße Klaus, nicht Maria.

S: Klaus? Bist Du sicher? – Ich meine, ich weiß ja, dass Maria ziemlich zerstreut ist, und …

K: Nein, ich heiße Klaus. Schon mein ganzes Leben lang.

S: Und Deine Freunde? Deine Familie? Nennen die Dich alle Klaus?

K: Na ja, nicht immer. Manchmal nennen sie mich auch Maria, aber nur als Scherz. Mein zweiter Vorname ist nämlich Maria. Das war früher so üblich bei uns in Bayern, und meine Eltern …

S: Sieh an! Maria! – Sag mir, Maria, bist Du verheiratet? Heißt Dein Mann zufällig Herbert?

K: Ach was, ich bin Junggeselle. Ein eingefleischter Junggeselle.

S: Würdest Du mir einen Gefallen tun, Maria? Du bist doch zu Hause.

K: Ja, bin ich. Aber hören Sie bitte auf, mich Maria zu nennen. Das macht mich ganz nervös.

S: Bist Du alleine, Maria?

K: Verdammt nochmal, ich heiße nicht Maria. Und ich bin auch nicht alleine. Es sitzt jemand neben mir auf dem Sofa.

S: Aha. Dann frag diesen jemand doch bitte, wie er heißt.

K: Mannomannomann. – Er sagt, er heißt Herbert.

S: Siehst Du? Natürlich bist Du Maria. Und mit Herbert verheiratet.

K: Jetzt komm ich aber echt ins Grübeln. Der Mann neben mir hat gerade gesagt „Was ist denn los mit Dir, Maria?“.

S: Ich hab es Dir ja gesagt. Du warst schon immer ein bisschen zerstreut, Maria.

K: Aber vielleicht meint dieser Herbert mit Maria nicht mich sondern Sie?

S: Ich heiße nicht Maria. Ich bin Claudia, Deine Cousine.

K (grüblerisch): Claudia … wer ist Claudia. Ich war total davon überzeugt, dass ich Klaus heiße.

S: Also, wir sind ja jetzt schon zwei gegen einen. Herbert und ich sind dafür, dass Du Maria bist.

K: Jetzt hören Sie mal! So eine Sache kann man doch nicht per Abstimmung entscheiden.

S: Maria. Denk einmal nach. Wie heißt Dein Kind?

K: Aha, da haben wir es doch. Ich habe keine Kinder!

S: Sei so nett, Maria, schau im Kinderzimmer nach.

K: In welchem Kinderzimmer …

S: … na ja, in irgendeinem Zimmer, in dem vielleicht ein Kinderbettchen steht.

K (legt den Hörer beiseite): Kruzifümferl nochmal …

K (konsterniert): Tatsächlich. Nebenan liegt ein Kind im Bett.

S: Na also.

K: Aber ich weiß nicht, ob Junge oder Mädchen.

S: Ein Mädchen, Maria. Glaub mir, ein Mädchen. Oder frag einfach Herbert, wenn Du mir nicht glaubst.

K: Hm, woher soll ich wissen, dass Sie beide keine Komplizen sind, die mir weismachen wollen, ich sei Maria und nicht Klaus?

S: Hör mal, welches Interesse sollte ich denn daran haben.

K: Was weiß denn ich … Welche Nummer haben Sie eigentlich gewählt?

S: Selbstverständlich Deine Nummer, Maria.

K: Und wie lautet meine Nummer?

S: Na, so wie ich sie gewählt habe!

K: Nein, sagen Sie mir jetzt, welche Nummer Sie gewählt haben.

S: Herrgott, das ist doch ganz egal!

K: Nein, das ist eben nicht egal.

S: Na gut, na gut. Du hast recht. Ich sehe gerade, ich hab mich tatsächlich verwählt. Ich rufe vom Festnetz an und muss mich irgendwie beim Ablesen vom Handy vertippt haben.

K: Aha! Ich bin also Klaus. Klaus und nicht Maria!

S: Ja, Klaus, meinetwegen. Was weiß denn ich. Ich kenn Dich doch überhaupt nicht. Woher soll ich denn wissen, wie Du heißt?

K: Puh, was hab ich mich erschreckt. Ich dachte schon, mein ganzes Leben wäre ein Traum gewesen. Wer bin ich? Wer bin ich wirklich? Ein guter Mensch? Ein schlechter? Wir sind doch alle nur Spiegelbilder unserer Erinnerung …

S: Jetzt lass das. Ich hab doch gesagt, ich habe mich verwählt. Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich mich täusche. Da werde ich eben manchmal ein wenig übergriffig. – Mannomann, das erste Mal seit 2005. Verflixt.

K: Seit 2005, sagen Sie. Unglaublich. Sie täuschen sich nie? Niemals? Wie ist das denn beim Lottospielen?

S: Beim Lotto behalte ich natürlich auch immer recht. Ich sage jede Woche „mich trifft es nicht“. Und tatsächlich trifft es mich nicht.

K: Das ist ja unglaublich!

S: Egal, ich lege jetzt auf. Wiederhören. Oder besser: Auf nimmer Wiederhören.

K: Hören Sie, eine kleine Sache noch. Was mache ich mit dem Kind im Nebenzimmer und dem Mann auf meinem Sofa?

S: Ach ja, Herbert und die kleine Maus. Ich rufe gleich bei Maria an, sie soll die beiden bei Dir abholen.

K: Der Mann frisst mir die Chips weg.

S: Typisch Herbert. Wahrscheinlich hat er Hunger.

K: Beeilen Sie sich bitte. Rufen Sie Maria an. Und verwählen Sie sich nicht.

5 Kommentare

    1. Danke sehr. Interessant ist, dass eine ganz ähnliche Randbemerkung eine andere Leserin schon zu meinem letzten Chatprotokoll hinterlassen hat. (Vielleicht sollte ich tatsächlich mal an einem Bühnenstück arbeiten? Zeit dazu hätte ich demnächst wahrscheinlich.)

    1. Banane? Ich lese immer Banane! – Sind wir hier etwa bei „Ich, einfach unverbesserlich!“ und den Minions?

    2. Ich dachte ja eher, daß man die nach dem Telefonat sowieso nicht mehr braucht.
      (Die Minions sind komplett an mir vorbeigegangen, aber ich glaube, das macht nicht so viel.)
      Schöne, gemütliche & nahrhafte Feiertage!

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