23,85

Aha, da sind sie ja! – Genau wie es mir meine Frau beschrieben hat: „Die heruntergesetzten Hemden findest du in der Herrenabteilung gleich links, genau in der Mitte des Verkaufsraumes.“ Innerhalb weniger Minuten habe ich mich entschieden für ein anthrazitfarbenes Hemd mit dünnen, goldenen Streifen und eine farblich dazu passende Krawatte.

Suchend blicke ich um mich. Ich brauche einen Verkäufer. In der Ecke des Verkaufsraumes erspähe ich eine Angestellte, die gerade einen Kunden bedient. Ich gehe auf die beiden zu. Doch bevor ich sie erreiche, drängen sich eine korpulente Frau und ein ebenso übergewichtiger Mann an mir vorbei. Die Frau zupft die Verkäuferin am Ärmel und sprudelt gleich los, ohne auf das laufende Verkaufsgespräch Rücksicht zu nehmen. „Mein Mann braucht einen Anzug!“, schnauft sie, rotgesichtig und außer Atem. Die Verkäuferin jedoch lässt sich nicht drängeln, händigt ihrem Kunden seine Warenbons aus und deutet ihm den Weg zur Kasse. Ruhig wendet sie sich danach der ungeduldigen Kundin zu, wirft einen prüfenden Blick auf mich, der ich mit Hemd und Krawatte in der Hand hinter den beiden Fleischbergen stehe.

„Entschuldigen Sie bitte, ich bin gleich für Sie da. Aber der Herr hier scheint bereits gewählt zu haben.“ Die Verkäuferin schlängelt sich an den zwei Dicken vorbei und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. Den blubbernden Protest der Rotgesichtigen beachtet sie gar nicht. – „Sie haben sich schon entschieden, mein Herr?“

Die Frau nimmt mir Hemd und Schlips aus der Hand und schneidet die Warenbons ab. „Ein sehr elegantes Hemd, und die Krawatte passt ausgezeichnet, mein Herr.“ Sie lächelt mich erneut an, und ich versinke hilflos in ihren strahlend blauen Augen. Eine äußerst gewinnende Erscheinung, denke ich und sage: „Genau meine Kragenweite.“
„Sie meinen das Hemd?“, fragt die Verkäuferin und lacht kurz auf. Dabei dreht sie sich zu mir um und streicht sich mit der Linken eine Haarsträhne aus der Stirn. In der entstehenden Luftbewegung kann ich riechen, dass sie leicht nach Pfirsich duftet. Hinter ihr glotzen uns die beiden Dicken mit großen Augen stumm an wie zwei Fische durch die Scheibe eines Aquariums.

„Ich darf Sie zur Kasse begleiten?“, fragt die Schöne und stöckelt auch schon davon, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich folge ihr, den Blick wie magnetisiert auf das im schwarzen Rock hin- und herwippende Hinterteil vor mir gerichtet; hinter mir noch immer die beiden Karpfen im Schlepptau. Die Verkäuferin tippt die Belegnummern in die Registrierkasse und kommentiert die Transaktion: „Eine sehr gute Wahl, mein Herr. Hervorragende Qualität zu einem prima Preis. Das macht zusammen 23,85 Euro.“ Erneut sieht sie mir in die Augen, zwinkert mir zu und ergänzt: „Da wird ihre Frau sicher begeistert sein. Sie sind doch verheiratet, oder?“

Mit geübten Handgriffen steckt sie die Ware in eine dunkelgrüne Plastiktüte. – „Wenn sie allerdings möchten, könnte ich Ihnen gerne auch privat bei der Anprobe behilflich sein.“ Sie drückt mir die Tüte in die Hand und strahlt mich dabei so unschuldig an, als habe sie mir eben noch ein Paar Socken angeboten.
„Das ist doch unerhört!“, zischt die Dickfischin dem Fisch in meinem Rücken zu. „Hast du das mitbekommen? Skandalös ist das!“

„Wissen Sie was? Ich schreibe ihnen mal einfach meine Adresse auf.“ Die Verkäuferin greift zu Stift und Notizblock. „Um neun bin ich zu Hause.“ Ihr Blick ist ein unmissverständliches, wenn auch unausgesprochenes Versprechen, als sie mir den Zettel zu meinem Einkauf in die Tüte steckt.

„Hat man sowas jemals erlebt? Ich glaub es ja nicht. Das ist einfach schamlos …“ – Die Stimme der rotgesichtigen Karpfin versickert hinter mir, als ich den Laden verlasse. Draußen fische ich den Notizzettel der Verkäuferin aus der Hemdentüte und werfe einen Blick darauf:

„Diese Gesichter, unbezahlbar!“, steht dort in der Handschrift meiner Frau. Ich zerknülle den Zettel und werfe die Papierkugel in den Mülleimer vor dem Geschäft.

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