Mehr und mehr beginne ich an der kollektiven Geistesgesundheit unserer Gesellschaft zu zweifeln; um nicht zu sagen: an ihr zu verzweifeln. Kopfschüttelnd nahm ich bereits die Hexenjagd auf Raucher zur Kenntnis, die einerseits begleitet von missionarischem Eifer der Gesundheitsapostolik, andererseits jedoch abgeschwächt wurde von der Geldgier tabaksteuerbegeisterter Finanzbeamter. Damals ließ ich mich noch durch das Argument der Belästigung durch Passivrauchen überzeugen, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum man Nikotinjunkies nicht ihre Raucherclubs lässt.
Weniger Verständnis bringe ich schon der vehement geführten Debatte entgegen, in der die rituelle Beschneidung männlicher Kinder als Körperverletzungsdelikt gebrandmarkt wird. Und als ich heute eine Nachricht von Uwe Vetter las, nach der ein deutsches Gericht das Ohrlochstechen bei Kindern unter 14 Jahren als potentielle Körperverletzung einstuft, verfallen ich in ungläubige Starre.
Ich erinnere mich an die Geburt meiner Tochter vor fast 20 Jahren. In dem Raum einer spanischen Geburtsklinik, in dem unzählige Kinderbettchen standen, konnte man die neugeborenen Mädchen von den Jungs schlicht daran unterscheiden, dass sie bereits wenige Tage nach der Geburt Ohrstecher in ihren winzigen Ohrläppchen trugen.
Ich bezweifle, dass spanische Frauen traumatisiert sind durch ihre frühen Erfahrungen mit Ohrpiercings. Aber ich bin überzeugt davon, dass deutsche Gerichte sich auf einen sehr gefährlichen Pfad begeben, wenn sie die bürgerlichen Freiheiten in immer stärkerem Maße beschneiden. – Denn nicht zufällig sind wir an dieser Stelle genau bei der Vokabel gelandet, die Objekt der aktuellen Regelwut ist: bei der Beschneidung. In diesem Fall bei der Beschneidung von Rechten, von Entscheidungsfreiheit, von Eigenständigkeit.
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Ich erwarte jetzt übrigens zeitnah eine Initiative zur Helmpflicht für Fußgänger. Ist die nicht längst überfällig?
Ohne die Klage der unsäglichen Eltern wäre diese Problematik, die keine ist, überhaupt nicht aufs Tapet gekommen. Helmpflicht für Fußgänger befürworte ich auch. In der Folge könnte ich meine Erfindung der Antiflutschstiefelchen aus Noppenneopren für gefahrlosen Badewannengebrauch patentieren lassen.
Die Halskrausen für Radfahrer, die sich bei Sturz zu einem Kopfairbag aufblasen, finde ich hingegen wirklich eine pfiffige, wenn auch nicht billige Idee.
Frau Moggadodde, ich sehe schon: Wir ticken auf einer Wellenlänge. Vielleicht könnten wir auch eine Smartphone-Äpp initiieren, die über die Front-Kamera von Telefonen die Einhaltung der Regeln zur Helmpflicht, Rutschsocke oder Radlerairbag prüft? Allein schon, um Lizenzabgaben für Ihre Patente eintreiben zu können.