Ihr kennt das bestimmt auch noch: Früher™ bekam man ab und an von sogenannten Freunden Kettenbriefe. Das waren damals noch echte Briefe auf Papier, die man kopieren – das hieß damals noch: handschriftlich abschreiben! – und an mindestens zehn Freunde weitergeben sollte. Dann bräche das große Glück über einen herein, sämtliche Wünsche würden sich innerhalb von zehn Tagen erfüllen, Wohlstand und ewige Gesundheit seien garantiert.
Wehe aber, man gäbe den Brief nicht weiter. Dann hätte man spätestens am nächsten Tag Pickel, die Englischarbeit würde katastrophal benotet und ein Taschendieb würde einem das mühsam Ersparte klemmen.
Untermauert wurde die wundertätige Wirkung des Kettenbriefes durch Testimonials irgendwelcher Damen und Herren aus Indien, England oder den U.S.A., die den Brief zunächst nicht verteilt hatten, dadurch ins Unglück stürzten und erst durch nachträgliches Versenden des Schreibens den Schicksalswechsel einläuten konnten, um fortan in ewiger Glückseligkeit zu leben.
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Diese Art mittelalterlichen Spams scheint es heute nicht mehr zu geben. Die Kids jungen Erwachsenen im wortmischerlichen Haushalt kennen solche Briefe nicht. Noch nicht mal als E-Mails. – Allerdings kam Tochter 3.0 letzthin mit einem fotokopierten Zettel und einer mir fremden Tupperwaren-Dose in die Küche. Was da denn drin sei, wollte ich wissen.
„Hermann!“, antwortete die Tochter.
Es stellte sich heraus, dass sie von einer Freundin einen Teigklumpen samt Rezept bekommen hatte. Der Teig hieß Hermann und wollte jeden Tag umgerührt oder mit Mehl, Zucker und Milch gefüttert werden. Außerdem, so behauptete das Rezept, solle Hermann es warm haben; er durfte also keinesfalls im Kühlschrank übernachten.
Nach neun Tagen wollte Hermann in fünf Teile geteilt werden, von denen drei samt Rezeptkopie an Freunde weitergegeben werden mussten, einer am zehnten Tag in einen Kuchen verwandelt und der letzte als Grundlage für den nächsten Hermann-Zyklus aufbewahrt und weitergefüttert werden sollte.
Behandlungsplan für Hermann als PDF zum Download (850 KB)
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Wir durchlaufen hier mitterweile den zweiten Hermann-Zyklus. Im ersten wurden verschiedene Nüsse eingebacken, der zweite (siehe Abbildung) enthält ein Säckchen mit Studentenfutter. Hermann ist von recht fester Konsistenz, schmeckt eher nicht so süß und wird vom Rest der Familie strikt gemieden. Ich bin der einzige Hermann-Addict im Haushalt.
Tochter 3.0 kündigte an, den nächsten Hermann nicht mehr zu fünfteln, sondern nur mehr in drei Teile zu portionieren. Denn drei Freundinnen hätte sie noch, die auf ihre Hermänner warteten. Die Eigenproduktion solle nach Hermann II. allerdings eingestellt werden.
„Papa, Du bist der einzige, der Hermann isst. Dabei musst Du doch fasten!“, reagierte sie ungeduldig auf meine Protestrufe. Dabei ist Hermann völlig harmlos. Ein Stück Hermann zum Frühstück verhindert keinesfalls, dass ich Woche für Woche ein Kilo verliere. Ich bin empört. Ich will meinen Hermann wiederhaben! – Ich habe ein Recht auf Hermann III.!
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Fastentage: 41
Gewicht: minus 8 kg
:-D der lebendige Kettenbrief. Den Hermann gabs schon vor mindestens 20 Jahren, wir hatten auch mal eine Welle davon in der WG. Ich frage mich, ob sich wohl noch Spurenelemente dieser Uralt-Hermanne in den neuen nachweisen lassen …
Der Spurennachweis von Uralt-DNA ist wahrscheinlich. Ich weiß nämlich nicht, wie man an das Grundrezept rankommt, wenn man keinen Teigspender hat.