Tochter 3.0 hat einen Freund, den A. Ganz offiziell. Wir hätten früher gesagt: „Die gehen miteinander“. Die zwei ziehen sich schon mal gern zurück ins Zimmer der Tochter. Manchmal liegen sie auch in unserem türlosen Wohnzimmer auf der Sofalandschaft vor dem Fernseher herum und kuscheln. Sollen sie doch, ich hab kein Problem damit.
Wir sind da zwischen Tochter und Vater im Reinen: Ich habe ihr meinen wohlmeinenden, väterlichen Aufklärungssermon vorgetragen, einschließlich eines Angebotes, ihr beim Erwerb von sinnvollen Utensilien behilflich zu sein; sie belächelte meine Initiative und gewährte mir einen Blick in ihre Handtasche, in der ich einen aluverpackten Präser Billy-Boy entdeckte. So weit, so gut.
Etwas irritiert war ich allerdings über die Besuche eines zweiten jungen Mannes, des S. Den kennt Tochter 3.0 seit zehn Jahren, er besucht die gleiche Schulklasse wie sie. Ich mag den S. sehr, sehr gern leiden, ein Klassetyp. Die beiden kochen zusammen, backen, basteln Geburtstagsgeschenke und üben Tanzschritte zu Choreografien aus dem Sportunterricht. Alles ganz normal, geradezu herzergreifend harmonisch. Teenagerig, sechzehnjährig. – Nur: Auch mit dem S. kuschelt Tochter 3.0 ganz gern auf dem Sofa vor dem Netflix-Programm.
Doch weder die Tochter, noch der S. und noch nicht einmal der A. scheinen über die vermeintliche Zweigleisigkeit des Mädchens sonderlich viel Aufhebens zu machen. Beide Jungs wissen voneinander, kennen einander und mögen sich scheinbar sogar, soweit ich das beurteilen kann. Nicht unbedingt ein Dilemma für den stirnrunzelnden Vater, aber doch eine Sache, die ihn ab und zu nachdenklich werden ließ. Nachdenklich zumindest bis vor zwei Wochen, als Tochter 3.0 sehr beiläufig erwähnte, der Kuchenbacke- und Tanzfreund S. sei gerade schlecht verfügbar, weil er einen neunen Freund habe. Also einen „Freund“.
Jedes Mädchen braucht einen besten schwulen Freund, denke ich, obwohl mich da vermutlich Mitzi Irsaj zurückpfeifen würde. Und dann fällt mir wieder das größte Missverständnis in Liebesdingen ein, das mich selbst einst ereilt hat.
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Damals war ich noch mit der J. zusammen. Richtig, gut erkannt: Mit der Frau aus dem Zelt auf dem französischen Campingplatz.
Allerdings stand unsere Beziehung mittlerweile auf der Kippe. Mehr Streit, weniger Liebe. Sie wissen, was ich meine; einfach Mist also. – Da lernte ich eines Tages J.’s beste Schulfreundin kennen, eine gewisse Barbara, Salzburgerin, Tochter eines Strumpfindustriellen. Die war ein Bündel sprühender Energie und abgrundtiefen Chaos‘ gleichermaßen. Barbara faszinierte mich, um nicht zu sagen: verzauberte mich.
Als die Beziehung mit der J. den Bach runter war, ging ich zum generalstabsmäßigen Großangriff auf Barbara über. Also nicht, was Sie vielleicht denken: Blumen und romantische Sprüche. – Nein, ich plante den Angriff auf Barbara akribisch im Detail:
Womit befasste sie sich in ihrem Studium? Ich wurde zum Experten in Marktwissenschaft bezüglich der europäischen Strumpfindustrie … Was aß sie gern? Ich besorgte mir einen riesigen (gebrauchten) italienischen Nudelwolf mit Handkurbel, der meine Küche gnadenlos verschandelte … Welche Musik hörte sie? Damals wurde ich Fan der österreichischen Liedermacher, insbesondere von Wolfgang Ambros …
Ich attackierte wie Blücher. Erfolglos. Kaum zu glauben. Diese ganze Charmoffensive für die Katz? Ich begriff das nicht. – Bis mich Barbaras älterer Bruder eines Tages auf dem Familienurlaubssitz in den Alpen, als wir alleine waren, ganz nebenbei beim Frühstück fragte: „Sag mal, Du weißt aber schon, dass Babsi auf Frauen steht, oder?“
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Das Verhältnis zwischen Barbara und mir veränderte sich im Nachgang zu ihrem passiven Coming-Out durch den Bruder. Es dümpelte, um ehrlich zu sein; mein Elan war angeschlagen. Trotzdem scharwenzelte ich weiterhin um meine Flamme herum. Ich hatte ja sonst gerade nichts Besseres zu tun.
Den Todesstoß versetzte dann Barbara unserer grotesken Beziehung, als sie mir eines Tages einen Kuss auf die Lippen setzte und anmerkte: „Weißt Du, als Du mir noch an die Wäsche wolltest, warst Du mir eigentlich lieber. Interessanter. Spritziger.“
Die Sache mit der Lesbe wenigstens als beste Freundin, wenn schon nicht als Freundin, konnte ich mir abschminken. – Vielleicht hat Tochter 3.0 mit dem S. mehr Glück.
Ich pfeife! Aber eher anerkennend, weil ich den Tag mit einer hübschen Erzählung begonnen habe. Zurückpfeifen will ich dich nicht. Du hast ja Recht. Den einen Vorteil, sich die Komplikationen von Schmetterlingen im Bauch zu ersparen, haben die schwulen, besten Freude eindeutig. :).
Ich sag dankschön für das nette Lob, Mitzi. Und in einem Punkt gebe ich Dir absolut recht: schwule beste Freunde sind oft die besten Freunde. Ich habe übrigens auch einen schwulen besten Freund, selbst das funktioniert prima!
Ach, ja. Das erinnert mich an mein Christinchen. Slowake. Groß gewachsen. Strahlend blaue Augen und tiefschwarzes Haar. Sah schon unverschämt gut aus. Wir trafen uns auf einer Nebenbaustelle, nämlich dem Arbeitgeber, der uns unsere Student*innenjobs finanzierte. Und waren von Anfang an begeistert von einander. Christinchen war, Zitat Christinchen „Bockschwul“.
Zwei Jahre später zogen wir zusammen. Die Wohnung war stets picobello, alles auf Hochglanz poliert. Dafür bediente sich Christinchen zuweilen an meiner etwas aufwendigen Gaderobe und den Negliges. Und entwickelte sich, Zitat Christinchen:, zur Mega-Tucke. Göttlich.
Wenn wir abends nicht gemeinsam das Kölner Nachtleben unsicher machten, liehen wir uns Videos aus, schauten die gemeinsam auf dem Sofa. Und kuschelten. Das Kuscheln war eben deswegen möglich, weil wir beide kein Interesse besaßen, unser Miteinander auf horizontale Akrobatik zu erweitern.
Noch vier Jahre später zog ich nach Berlin. Eine schöne Altbau-Wohnung im Wedding. Christinchen kam mich besuchen. Herrlich. Leider musste ich früh raus. Arbeiten. Und Christinchen zog alleine durch die Berliner Nächte.
Eines Morgens tappse ich auf Zehenspitzen aus der Dusche Richtung Küche. Da sitzt da der Traum von einem Kerl. Durchtrainiert. Blond. Strahlend blaue Augen. Die Haare verstrubbelt. Nackt. Ich habe wohl selten dämlich geguckt und es gedieh die Erkenntnis, dass in meinem Leben etwas schief läuft, wenn schöne, nackte Männer in meiner Küche nicht wegen mir, sondern wegen Christinchen sind.
Leider verlor sich der Kontakt. Ich zog vom Wedding nach Tiergarten und vom Tiergarten nach Mitte und von Mitte nach Wedding und vom Wedding nach Wandlitz. Jahre später hörte ich von einer Freundin, deren Freund wiederum eine Zeitlang mit Christinchen liiert war, dass Christinchen nun verheiratet sei und stolze Vaterline von Zwillingen sei. Seine Frau scheint die Hosen anzuhaben. Ein burschikoser Typ. Und tatsächlich erwies sich die Aussage als wahr.
Christian und seine reizende Frau samt zuckersüßen Zwillingen waren uns mittlerweile hier besuchen. Mei, war das schön.
Lieber Wortmischer, das kann immer alles ganz anders kommen, als man denkt. Wir Menschen sind unberechenbar. Das ist schrecklich. Aber auch ganz wunder-voll ;-)
Liebe Grüße,
Nana
Ich versuche gerade, mir vorzustellen, wie das funktioniert: von der „bockschwulen Mega-Tucke“ zum Zwillingsvater. Da steht man(n) als Hetero einigermaßen hilflos daneben.
Aber danke fürs Teilen Deiner Erinnerung!
Ich habe aufgehört von den Menschen irgendetwas zu erwarten, lieber Wortmischer. Christinchens Wandel mag ungewöhnlich sein, aber so geschehen. Ja nun, ich war ja auch einst als bindungsunwillige Königin der Nacht unterwegs und könnte und wollte mir ein Leben ohne den Vibesbold nicht mehr vorstellen. Manchmal zähmt uns das Leben, oder nimmt eine unerwartete Richtung ein.
Ich finde es schön, wie Du Dich um das Wohl vom Töchterlein 3.0 sorgst!
Lieber Wortmischer,
da bin ich neugierig geworden: besteht denn die Fanschaft zu österreichischen Liedermachern, oder gar zu Wolfgang Ambros noch (oder wieder)?
Absolut. Wolfgang Ambros und am liebsten eigentlich Ludwig Hirsch. Gern seine „Dunkelgrauen Lieder“, zum Beispiel „I liag am Ruck’n“. Dazu hab ich schon mal etwas geschrieben, einen etwas frecheren Text ;-)
Lieber Wortmischer,
das könnten wir ja mal zusammen Hirschen! *grins*
Ich bin ihrem freundlichen Hinweis gefolgt und habs gelesen. Ich mag die Songs vom Hirsch auch so gerne. Und die vom Georg Danzer! „Hupf in Gatsch“ – Unvergesslich!
Die Kleine Zeitung schrieb gestern zu Ludwig Hirsch: Erinnerungen an einen Unbeugsamen. Diese Nachlese hat mich jetzt zu einer kleinen Zeitreise meiner Selbst geführt. Im Februar beginnt für mich wieder die Aufstrittssaison und mir ist da grad der Gedanke in den Sinn gekommen, was wohl „meine Fans“ sagen würden nach meinem Ableben.
Auftrittssaison? Als oder mit was trittst‘ denn auf?
Oh, lieber Wortmischer,
ich stehe auf der humorvollen Seite des Bühnenlebens, in Ö Kabarett genannt. Mehr will ich darüber nicht erzählen, ich will ganz einfach unbekümmert bloggen.
Guten Tag!
Das war jetzt der erste Text, den ich von Dir gelesen habe, und du hattest mich bei „Tochter 3.0“.
Ich wünsche mir manchmal meinen schwulen besten Freund/besten schwulen Freund aus Studientagen zurück. Er verkündete mir mal, es wäre sehr bedauerlich, dass ich kein schwuler Mann wäre. Das war abgesehen davon so herrlich unkompliziert! Vielleicht sollte ich mal nach so einem tindern.
Bist ja leicht einzufangen, Miriam! (Ich meine, „Tochter 3.0“ sind ja die beiden ersten Wörter im Text.)
Aber Spaß beiseite. Es freut mich natürlich, dass Dir meine Geschichte gefällt. Und Deine Betrachtung zum Attraktivitäts-Gap zwischen Geist und Körper ist ja sooo wahr …