Pubergetöse

~ oder: Ice Bucket Challenge reloaded ~

Aufenthaltsorte im Winter?

Frau N. schreibt einen wunderbaren Bericht über Mademoiselle, das Pubertier im gemeinsamen Haushalt. Und obwohl meine Tochter 3.0 mit siebzehneinhalb einige Jahre älter ist als Mademoiselle, stelle ich doch Gemeinsamkeiten fest. Ich bezweifle, dass dies der Frau N. ein Trost sein wird: Die Sache mit dem Aufräumen, unmittelbar nachdem eine Tätigkeit beendet wird, hat auch meine beinahe volljährige Tochter noch nicht verinnerlicht. (Allerdings verfolge ich eine alternative Erziehungstaktik: Ich lasse alles schweigend stehen und liegen, wie es ist, und weise erst gegen elf, wenn Töchterchen ins Bett strebt, darauf hin, dass sie doch bitte noch einmal mit wachem Blick durch die Wohnung gehen solle. Das kostet sie dann meist noch eine Viertelstunde, bis der Wohnungszustand wieder okay ist.)

Diese Blindheit für ihre Umgebung führe ich darauf zurück, dass ihr Gehirn in keinem Augenblick mit der Aktualität beschäftigt ist. Während sie Dinge tut, sozusagen wie ein programmierter Vollautomat erledigt, ist sie gedanklich bereits Stunden weiter. Bei der anstehenden Fahrstunde vielleicht. Der Party am Wochenende. Oder bei ihrem Freund. Oder was weiß ich denn.

Wie ich auf diese These komme, fragen Sie? – Nun, letzthin erlebte ich an eigenem Leib, wie Übersprungshandlungen im Hirn meiner Tochter ablaufen:

Wir hatten gekocht. Bratwürste mit Kartoffelbrei. Der Dampf waberte durch die Wohnung, und so öffnete ich die Balkontüre, um für klare Sicht zu sorgen. Dabei telefonierte ich und trat zur Eigenlüftung hinaus vor die Türe. In diesem Augenblick sprintete Tochter 3.0 heran und verabschiedete sich wie immer in höchster Eile; die Bahn! Sie fährt völlig überraschend schon in zwei Minuten! Zur letzten Fahrstunde vor der Prüfung! Schnell, schnell, schnell!

Ich winke ihr kurz zu, zeige Daumen nach oben – ich habe verstanden – und wende mich wieder meinem Telefongespräch zu. Als ich aufgelegt habe und mich umdrehe, um in die Wohnung zurückzukehren, ist die Balkontüre geschlossen. Von innen verriegelt. Soso. Aha.
Ich lobe kurz den Herrn, dass er mich vorsorglich mit dem Telefon in der Hand hinaus in den Winter geschickt hat. Denn ohne diesen Rettungsanker bliebe mir jetzt nichts anderes übrig, als aus dem vierten Stock an der Regenrinne nach unten zu klettern, um nicht binnen weniger Minuten zu erfrieren.
Ich rufe also hektisch wohlüberlegt mehrere Menschen an, deren Telefonnummern in meinem Apparat gespeichert sind. Viele sind das nicht, da ich selten über Festnetz telefoniere. Leider erreiche ich kaum jemanden, und erst nach langem Hin und Her setzt sich Tochter 1.0 am anderen Ende der Stadt in Bewegung, die über einen Ersatzschlüssel verfügt. Nach vierzig Minuten Eishölle im Hemd auf dem Balkon werde ich erlöst. Ich habe jetzt einen ganz anderen Blick auf die Flüchtlingstrecks aus dem Osten, vor siebzig Jahren, im Januar 1945. Außerdem weiß ich, dass ich im Fall des Falles von der rechten Schulter her erfrieren werde.

Und last but not least: Ab sofort habe ich immer ein waches Auge auf den Aggregatzustand von Tochter 3.0. – Ist sie müde? Panisch? In heller Freude? Dann ist höchste Alarmstufe geboten. Frauen und Kinder bitte in den Luftschutzkeller, und ich verbarrikadiere mich im Badezimmer. Mit ausreichend Proviant, Bier und Lesestoff versehen. Und einem Parka für den Notfall. Nur für den Fall, dass der Nachwuchs in einem Anfall geistiger Umnachtung die Zentralheizung abschaltet, bevor sie geht.

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