Der Wimpernmann

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Auf dem Rasenplatz des FC Germania kicken die Kids in neongelben, viel zu großen Warnwesten. Gegenüber, im Biergarten, sitzen erste unerschrockene Gäste auf den Bänken unter laublosen Bäumen in der kalten Abendluft. – Vorfrühling in Frankfurt.

Ich setze mich in Hörweite eines Pärchens an einen der Biertische und betrachte den orange getönten Himmel. In Blickrichtung auf dem Dach des malerischen Anbaus des Lokals liegen zwei Rechen; ja, Rechen: „Rechen“, so wie „Sensen“. Kalkulierte Romantik. Die Saison steht in den Startlöchern.

Das Pärchen, Anfang fünfzig vielleicht, oder Ende vierzig, schweigt sich gegenseitig an mit Leichenbittermienen. Sie sehen konsequent aneinander vorbei, rauchen zerstreut. Er beugt sich irgendwann nach unten, fegt Staub von ihren schwarzen Wildlederstiefletten. Sie ächzt tonlos: „Lass!“

Ich bestelle ein Bier und warte auf Dialog, der weiterhin nicht stattfindet. Er hat sagenhaft lange Wimpern, die ständig blinzeln. Ist er womöglich den Tränen nahe?

Kommt schon, denke ich. Was ist denn los? – Es wird rasch kälter. Drüben krächzen die Fußballer über den Platz wie Neonkrähen.

Ehekrise? Pubertäres Kind auf Abwegen? Aktienpaket auf Insolvenzkurs? – Auf solche Gedanken kann man nur in Mainhattan kommen.
Der Wimpernmann steht auf und geht. Die Black-Suede-Shoe-Frau folgt ihm noch immer sprachlos.

Früchlingserwachen in der Finanzmetropole. Auch ich erhebe mich und betrete lieber das Lokal. Wenigstens ist es angenehm warm dort drinnen.

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