Un pokito de rocanrol

María Nieves Rebolledo Vila = Bebe

Besonders attraktiv ist sie nicht, sie raucht Kette (und das hört man ihrer Stimme auch deutlich an), sie lässt ihre Körperteile mit Metall perforieren – es gibt aus meiner sehr persönlichen Sicht wenige Gründe, die spanische Sängerin und Schauspielerin María Nieves Rebolledo Vila alias Bebe groupiehaft zu verfolgen. Aber mindestens einen ganz wichtigen Grund gibt es doch: Bebe macht absolut – mit Verlaub – geile Musik.

Dieses Adjektiv zur Musikqualität ist sonst wahrhaftig nicht mein Stil, aber es trifft hier nun einmal ganz genau den Punkt. Bebe schert sich nicht um Konventionen und Hörgewohnheiten. Bei ihr überraschen die Rhythmen bei jedem Stück aufs Neue, die Instrumente krachen und die Stimme der Sängerin wird eher als zusätzliches Instrument denn als Gehörgangsschmeichler eingesetzt. Ihre letzte und insgesamt dritte CD, Un pokito de rocanrol, ist gelinde gesagt kühn; ein Ansporn an den Hörer, alles Vorhersehbare, alles womöglich Erhoffte und alles Bequeme beiseite zu legen um in ein Album einzutauchen, das nicht mehr und nicht weniger bietet als äußerst kreative Musik.

Das ist zunächst ziemlich gewöhnungsbedürftig, und die meisten Ersthörer werden sich überwinden müssen, die Scheibe ein zweites und drittes Mal anzuhören. Wenn man aber einmal diese Hürde überwunden hat, kann man nicht mehr aufhören. Man hängt am Haken, wann immer Bebe zu einem ihrer musikalischen Rundumschläge ausholt. Mir ist es lange nicht mehr so ergangen, dass ich mich beim Durchhören einer Silberscheibe nicht entscheiden kann: soll ich den eben gehörten Song gleich nochmal anhören? Oder doch lieber mit dem nächsten weitermachen?

Das Erfolgsgeheimnis von Bebe ist zweifellos in ihren Songtexten zu suchen. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Sängerin außerhalb ihres Heimatlandes wenig bekannt ist, obwohl sie mit Kreativitätspreisen der Musik- und Kulturwirtschaft geradezu überhäuft wurde. Wer den Text nicht versteht, erlebt leider nur den halben Genuss. In Spanien ist Bebe ein Superstar, hierzulande musste man ihre Alben bis vor Kurzem vorbestellen.
Das besondere an den Texten besteht darin, dass die Sängerin einerseits Tacheles redet (dazu sage ich später noch etwas), andererseits Wörter und Silben wie Rhythmusinstrumente einsetzt. Das Stück Me pintaré zum Beispiel beginnt mit fast schon unmusikalischen Tonfolgen und steigert sich dann in einen maschinengewehrartigen Rhythmusgesang, der keinen textlichen Sinnzusammenhang aufweist, aber den anfangs im Sprechgesang skizzierten Inhalt perfekt widerspiegelt; es geht um Sex, um animalischen Sex, um empujones, arañazos, tirones, boca[d]os – um Stoßen, Kratzen, Ziehen und Beißen, das im rasenden Stakkato wiederholt wird.
Warnung: Spätestens beim zehnten Durchlauf ist es nicht möglich, dabei nicht mitzusingen!

Faszinierend ist, dass es Bebe immer wieder schafft, Sprache als Musikinstrument einzusetzen und mit ihren Texten gleichzeitig Aussagen zu verküpfen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, knallt in einem Stück ihrem Lebenspartner die Trennung hin (Adiós), liebt ihn im anderen (Me pintaré) und streitet mit ihm (Qué carajo). Abgründig und abschreckend ist die Beschreibung ihrer Nikotinsucht im letzten Song auf der Scheibe, Yo fumo.

Bebe spielt in einer komplexen, mehrschichtigen Art und Weise mit Sprache, angefangen mit der Verwendung von Straßenjargon bis zu einer reimartigen Kettung von Worten und Ausdrücken. Dass dem Zuhörer dabei vor Staunen die Spucke wegbleibt und dass das etwa einen „Wortmischer“ nicht kalt lässt, ist wohl klar. — Me ha enganchado, ich bin süchtig nach Bebe.

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María Nieves Rebolledo Vila wurde 1978 in Valencia geboren und wuchs in Extremadura auf, einer Region im Zentrum der iberischen Halbinsel an der Grenze zu Portugal. Ihr erstes Album erschien 2004 unter dem Titel Pafuera Telarañas (Raus mit den Spinnennetzen, oder übertragen: Weg mit den Verblendungen?), fünf Jahre später nach einem ausgiebigen Ausritt in die Schauspielerei ihr zweites, Y. (sprich: Y punto, Und Punkt). Wieder drei Jahre später und nach der Geburt ihrer Tochter Candela erschien Anfang 2012 Un pokito de rocanrol (Ein bisschen Rock’n’roll).
Nachtrag im März 2016: Vor einem halben Jahr, im Oktober 2015, erschien Bebes viertes Album unter dem Titel Cambio De Piel (Hautwechsel). Hinter der Scheibe steckt wirklich so etwas wie eine Häutung. Nachdem die dritte Platte im Vergleich zu Nummer eins und zwei vom Stammpublikum eher zögerlich aufgenommen wurde, kehrt Bebe mit Cambio de Piel wieder zu Stil (und zum Produzenten) der beiden ersten zurück.

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Bebe in den Weiten des Internetzes:

Zunächst wäre da Bebes Website (ES) mit dem lautmalerischen (da ist es schon wieder!) und kaum zu übersetzenden Titel La bebe bellota. Dann habe ich noch einen Artikel im spanischen Rolling Stone (ES) über die Entstehung des aktuellen Albums Un pokito de rocanrol aufgetrieben und den unvermeidlichen Wikipediaeintrag (ES) ausgegraben. Außerdem twittert (ES) Bebe und ist auch auf Facebook (ES) zu finden. Auf deutsch gibt es hingegen recht wenig Material über die spanische Rockikone: Die deutsche Fassung des Wikipediaartikels (DE) ist unergiebig, in der „Rocktimes“ habe ich einen aktuellen CD-Review (DE) von Günther Klößinger, in der Jahrgangsgeräuschen eine weitere von Zloty Vazquez (DE) gefunden. Der Künstlername ist beim Googol darüber hinaus eher Garant für das Auffinden jeglicher Art von Konsumgütern für Kleinkinder.

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