Krieg und Muschiaufstand

Die Prozessführung und das Urteil gegen die drei Aktivistinnen von Pussy Riot zu kritisieren und als politisch motivierte Unterdrückungsmaßnahme zu qualifizieren, gehört in den letzten Wochen zum guten Ton. Blogs, Presse, Politik und Kulturschaffende brandmarken den Umgang mit dem Trio als überzogen, selbstherrlich oder faschistisch. Ich bin nun gespannt, ob die demokratische Gesellschaft eine von diesem Mainstream abweichende Meinungsäußerung aushält.

Bevor ich jedoch zu dieser Äußerungen schreite, möchte ich den Lesern zur Einschätzung des gedanklichen Umfeldes meiner Position ein paar Worte über mich mitgeben. Ich wähle meist grün, sympathisiere aber auch mit Ideen der Piraten, lehne reaktionäres Gehabe in jeglicher Form ab und bin Verfechter staatlicher Nichteinmischung in bürgerliche Angelegenheiten. Ich lehne weder Nacktheit noch Pornographie ab, habe allerdings Probleme mit religiösem Sendungsbewusstsein.

Den Aktionen von Pussy Riot und der dahinter stehenden Gruppe Voina kann ich trotz meiner liberalen Grundeinstellung nicht viel abgewinnen. Zwar habe ich großen Respekt vor Menschen, die für ihre Überzeugung gesellschaftliche Grenzen überschreiten und sogar ihre Privatsphäre opfern. Außerdem bin auch ich der Meinung, dass der russische Staat – insbesondere in Verkörperung durch Herrn Putin – alles andere als demokratisch ist und Reformen benötigt. Allerdings heiße ich es nicht gut, wenn dieser Reformbedarf auf Kosten der Unversehrtheit anderer thematisiert wird.

Die Unversehrtheit Dritter wird meines Erachtens nicht verletzt, wenn beispielsweise Lesben und Schwule durch dramatische Auftritte in der Öffentlichkeit im Rahmen von Demonstrationen oder Themenmärschen auf Missachtung ihrer Rechte hinweisen. Sie wird allerdings sehr wohl durch barbusigen Krawall in orthodoxen Kirchen, durch das Absägen von Holzkruzifixen (mit oder ohne Freilegen von Brüsten) oder durch demonstratives Rudelbumsen in Museen verletzt.

Rudelbumsen im Museum

Obwohl ich kein Freund der Amtskirchen bin, am wenigsten der katholischen, verstehe und akzeptiere ich das Verbot von Strandkleidung in italienischen Kirchen. Und obwohl ich in Bezug auf die Ausübung sexueller Aktivität sehr freizügig denke und handle, will ich niemanden, dessen Schamgrenze niedriger liegt, durch Beischlaf in der Öffentlichkeit belästigt wissen. Das hat etwas mit dem Anerkennen von Wertvorstellungen anderer zu tun, auch wenn diese von meinen eigenen weit abweichen. – Ich kann Liberalität nicht für mich einfordern, wenn ich nicht bereit bin, sie anderen ebenfalls zuzugestehen.

Im übrigen kann ich mich noch gut an die italienische Abgeordnete Cicciolina erinnern, die ihre linke Gesinnung durch Entblößen der entsprechenden Brust kund tat; und an den Nipple Slip von Janet Jackson beim Gesangsduett mit Justin Timberlake. – Sex sells. Die gleiche Absicht unterstelle ich Voina und Pussy Riot.

Zum Prozessverlauf gegen die Aktivistinnen will ich damit nichts gesagt haben, weil ich nicht genug darüber weiß. Allerdings gilt sicher immer noch: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Diese Redensart ist bestimmt auch Russen bekannt, selbst wenn sie aus dem Alten Testament stammt.

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