Raketenstation

Im geografischen Nirgendwo draußen zwischen den Feldern hinter Neuss ist nicht viel los, meint man. Ins Auge sticht jedenfalls wenig mehr als eine groteske Riesenstahlspinne, die aus der Ferne aussieht wie ein Fußballstadion, dessen eine Seite ein womöglich verrückter Gigant angehoben und auf Stelzen gestellt hat. Vielleicht gewinnt die Heimmannschaft ohne das Gefälle nicht? Das Gebilde entpuppt sich beim Näherkommen jedoch als Skihalle, als abgehobener Versuch, das Salzburger Land an die niederländische Grenze zu exportieren, um auch bei 30° Außentemperatur überdachte Skiabfahrten zu organisieren. Dem Exilbayern blutet das Herz bei einem solchen Anblick.

In Sichtweite der Riesenspinne gibt es aber doch Alternativen für Leute, die etwas leisere Auftritte zu schätzen wissen. Das Museum Insel Hombroich fällt allerdings erst auf den zweiten Blick auf. Dann aber bleibt es in Erinnerung.

In einer biotopisch angelegte Landschaft finden sich verstreute Anlagen und Gebäude in minimalistischer, streng geometrischer Formgebung, die eine umfangreiche Kunstsammlung beherbergen. Eine halbe Halle hängt voll mit Ölbildern von Lovis Corinth, der wahrscheinlich vielen unter der Leserschaft bekannt ist, zumindest denen, die in frühen Jahren von den Eltern zu stundenlangen Walchenseewanderungen gezwungen wurden.

Aber hier sind wir ja an der Erft und neben Corinth wird auch Norbert Tadeusz ausgestellt, dessen kirchturmhohe Ölgemälde durch ungesund verrenkte Nacktheit verstört. Kann man sich aber ansehen. Alles: den Park, die Kunstsammlung und die Freiluftinstallationen, auf die der Spaziergänger in regelmäßigen Abständen stößt.

Wenn man dann all das inhaliert hat, sollte man jedoch auf jeden Fall ein paar Schritte weiterwandern, zu einem Außengelände des Museumsbereiches, zur „Raketenstation“.

Sturzgusskunst auf der Raketenstation Hombroich

Ich wohne ja selbst auf einem aufgelassenen Militärgelände der US-Amerikaner. Daher hat mich diese merkwürdig verwunschene Stimmung, die auf dem Areal herrscht, nicht unvorbereitet getroffen. Gebäude, die ihrer Funktion beraubt werden und wie alte Soldaten bewegungslos und reaktionsunfähig umherstehen, als habe man ihnen mitgeteilt, dass der Krieg vorüber sei, üben auf mich eine Wirkung aus wie das schlafende Märchenschloss auf Kinder. Der ehemalige Tower der Raketenstation wird zwar nicht von Rosenranken eingeschlossen, ist aber bis hoch zu den schmalen verspiegelten Fenstern von Efeu überwuchert. Dort oben hätte ich gerne mein Schlaf- und Schreibzimmer!

Und mit diesem Wunsch sind wir auch schon bei einer der Bestimmungen des Geländes angekommen. Bildende Künstler werden eingeladen, in den Gebäuden der Raketenstation zu wohnen und zu arbeiten. Ein sehr angenehmer Traum ist das, muss ich schon sagen, auch wenn wir von keinem der Bewohner etwas zu Gesicht bekommen haben abgesehen von Requisiten. – Wobei die letzte Aussage eine halbe Lüge ist. Eine haben wir nämlich schon gesehen. Hilli Hassemer war mit einer Ausstellung zu Gast auf der Raketenstation und für Bewunderer ihrer Kunst ansprechbar.

Gastausstellung Hilli Hassemer

In einem schmalen Gang einer in die Länge gezogenen Hobbithöhle – ich nehme an, das war einmal einer der Raketensilos? – findet der Besucher rund zwanzig Bilder an einer der Wände. Ich bin vom ersten Moment an fasziniert. Das erste Exponat, ein mit eng beisammen liegenden senkrechten Streifen in Grün weckt in mir eine Assoziation, als führe ich in rasender Fahrt in einem Glasaufzug entlang einer Mooswand hinab. Wie hat sie das gemacht? Ich trete näher heran, entferne mich wieder bis zur gegenüberliegenden Tunnelwand. Faszinierend. Frau Hassemer erklärt dazu etwas auf ihrer Website:

„2004 bis 2005 entstehen die Rinnbilder. Die flüssige Acrylfarbe rinnt und fließt auf der am Boden liegenden, in verschiedene Richtungen bewegten Leinwand. Die Rinnsale fließen in mehreren Schichten übereinander, bilden Netze und gewebeartige Formationen. Die Strukturen schaffen sich im freien Fluss, der Schwerkraft gehorchend, von mir durch Bewegung der Leinwand gelenkt.“

Exponate: Rinnbilder (Hilli Hassemer)

Auch die figürlich anmutenden Bilder beeindrucken mich sehr. Ich fühle mich beim Betrachten in eine Art angenehmen Rorschachtest versetzt. Aber es kommt keiner um die Ecke und fragt mich, was ich da auf der Leinwand zu erkennen glaube. Das ist auch gar nicht nötig, da zumindest ich jeden Tag etwas anderes in die Bilder hineindeute; manchmal auch gar nichts.

Aber ich bin froh, dass mir Frau Hassemer erlaubt hat, diese Fotos auf meiner Website auszustellen und Euch damit die Gelegenheit zu geben, Eindrücke mitzunehmen.

Wem es gefällt, der hat Gelegenheit, zwischen dem 5. und 29. September eine Gemeinschaftsausstellung von Hilli Hassemer und Uwe Esser mit dem bärenstarken Titel Es geht ans Eingemachte zu besuchen. Ich werde mich im September auf jeden Fall einmal nach Wiesbaden in den Kunstverein Bellevue-Saal in der Wilhelmstraße 32 begeben, alleine schon, weil ich einmal mit der Frau Hassemer ein paar Worte wechseln will. Und weil es quasi bei mir um die Ecke ist.

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Zuletzt kann ich es mir nicht entgehen lassen, Eure Aufmerksamkeit auf Hilli Hassemers seherische Fähigkeiten zu lenken. Ich weiß nicht, ob das Schicksal der Malerin die Hände lenkte, als sie mit weißem Acryl hantierte. Jedenfalls kommen wir nicht umhin, eine schreckliche Prophezeihung zur Kenntnis zu nehmen, die bereits Jahre vor dem Tod von Steve Jobs den Niedergang des Apfelimperiums beschwor.

Schreckliche Prophezeihung: Apple in Auflösung

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