Sehr schnell geht das mit der Wiedereingewöhnung. An unseren beiden ersten Tagen bin ich noch das eine oder andere Mal falsch abgebogen in den Straßenquadraten des Eixample in Barcelona. Die Tochter 3.0 saß noch ein bisschen verkrampft auf dem Soziussitz und krallte die Fäuste in den Stoff meines Hemdes. Doch seit dem dritten Tag liegt ihre Linke locker auf meiner Schulter, wie sie sich das von anderen Beifahrerinnen abgeguckt hat. Jetzt sind auch wir Teil dieses wespenartigen Schwarms von Verkehrsteilnehmern, die auf ihren zweirädrigen Rasenmähern mit brüllenden Motörchen und Vollgas an den Ampeln losflitzen, um sich von den langsameren Taxen und Lieferwagen abzusetzen.
Barcelona hat sich beim ersten Hinsehen nicht verändert: Es ist laut, feucht-warm und randvoll mit Touristen. Beim ersten Spaziergang holen wir uns ein Tütchen Jamón Ibérico vom Markt der Boquería und schlendern hinunter zur Kolumbussäule. Die Tierschützer haben ganze Arbeit geleistet: Nicht nur, dass aus der Stierkampfarena an der Plaza España längst ein Einkaufszentrum wurde; jetzt sind auch die Vogelkäfige auf den Ramblas verschwunden, für die die Promenade einst berühmt war.
Auf Höhe der Plaza Real verscheuche ich einen aufdringlichen Bettler. Er solle sich endlich verpissen, sonst gäbe es eins aufs Maul. Manchmal braucht es hier deutliche Ansagen, besonders dann, wenn man eine blonde Tochter dabei hat.
Unten am Hafen auf einmal tumultartige Szenen: eine handvoll Schwarzafrikaner mit prallen Stoffsäcken auf den Rücken rennen zwischen den Menschenmassen davon, gefolgt von ein paar Mossos d’Esquadra, den lokalen Polizisten. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, öffnet sich ein Tor der Polizeihauptwache und spuckt zehn weitere Mossos aus, die mit gezückten Knüppeln den Kollegen nacheilen. Kreischend stieben die Touristen auseinander.
Flüchtlinge aus Nordafrika?, denke ich und kann es gar nicht glauben. Tochter 3.0 ist ernsthaft schockiert. Aber als der erste Schwarze stürzt und sich der Inhalt seines Sackes über das Pflaster verteilt, ist alles klar. Die Kerle sind Straßenhändler ohne Lizenz, die sich überall im Stadtzentrum verteilen und Sonnenbrillen, Barça-Trikots und sonstigen Tourischrott anbieten. Sobald ein Polizist auf der Bildfläche erscheint, verschwindet die Ware in Sekundenschnelle im Sack und die Händler flitzen davon.
Wir haben genug von den Menschenmassen und sägen in ein paar Minuten die Calle Aribau hinauf nach San Gervasio, wo sich die Luft ein wenig kühler anfühlt und kaum Touristen zu sehen sind. Wir setzen uns in den Schatten im Garten einer kleinen Bar.
In den letzten zehn Jahren hat sich eine alteingesessene katalanische Brauerei wieder vom Schock der Wirtschaftskrise erholt. In den Neunzigern hatten die Erben eines elsässischen Einwanderers die Brauerei geschlossen, doch seit einigen Jahren findet das Moritz-Bier immer mehr Freunde und auch mich überzeugt der nach dem Reinheitsgebot gebraute Gerstensaft.
Wir haben uns mit Freunden verabredet und berichten von den Afrikanern im Hafen.
Offenbar sind die nicht das einzige Problem, das die Stadt mit Zuwanderern hat. Mehr und mehr der kleinen Tapasbars werden von Chinesen übernommen. „Die setzen sich ein paar Tage lang in eine Bar, sehen sich alles ganz genau an und kommen dann mit einem dicken Bündel Bargeld wieder“, erzählen die Freunde.
Die Leute sind überzeugt davon, dass hier die chinesische Mafia agiert. Geldwäsche. Oder woher soll das ganze Bargeld kommen?
Das gleiche gilt für die Minisupermärkte, die neuerdings an allen Straßenecken wie Pilze aus dem Boden schießen. Die haben auf engstem Raum alles, was das Herz begehrt, zu normalen Preisen und von neun bis null Uhr. Geführt werden diese Läden durch die Bank von Pakistanis, die Leute sagen inzwischen nicht mehr, dass sie einkaufen gehen, sondern nur noch: „Me voy al paqui.“
Verschwörungstheorie oder pakistanische Mafia?
Ich war dann noch mit Tochter 3.0 auf dem Montjuic. Erst einen Blick vom Schloss aus auf die Stadt werfen, danach zu Besuch an einem meiner Lieblingsorte in Barcelona: dem städtischen Friedhof. – Im Sommer ist es mir zwischen den steinernen Grabnischen zu heiß, habe ich festgestellt. Aber im Herbst oder Winter hat ein Friedhofsbesuch etwas selten Morbides.
Tapas jetzt. Und zwar dalli!
Genau so habe ich Barcelona letztes Jahr auch erlebt.
Ohne Moritz und den Friedhof. Aber beides ist nun notiert. Für eine Wiederkehr, die sehr wahrscheinlich ist.
Ich schreib vielleicht noch über das eine oder andere Erlebnis in der schönsten Stadt der Welt ;-)
(Und eventuell ist ja dann auch noch was dabei, was eine Wiederkehrerin brauchen könnte.)
¡Hasta pronto!