Weihnachtsgeschenke

„… Ja, Herr Bruns ist der Chef von Human Resources, und nein, sie können ihn jetzt nicht sprechen. Er ist in einem Gesprächstermin … Bitte sehr, gerne, in einer halben Stunde wieder. Auf Wiederhören.“
Ich legte den Hörer auf. Das war nun schon der vierte Anruf für den Personalchef gewesen, seit Anja aus dem Hotline-Team in seinem Büro verschwunden war. Ich hatte sie alle auf später vertröstet, hoffentlich war das Personalgespräch bald vorüber.

Tatsächlich flog die Bürotür von Herrn Bruns kurz darauf schwungvoll auf, und Anja Berger stürmte an mir vorbei, schluchzend und mit tränenüberströmtem Gesicht. Ich sah den Chef fragend an, als er hinter Anja aus seinem Zimmer heraustrat.
„Ich hasse solche Gespräche“, raunzte er und setzte sogleich an, eine Erklärung nachzuschieben. „Frau Berger ist im letzten halben Jahr dreimal unentschuldigt zu spät zu ihrer Schicht erschienen. Und das nicht nur um fünf Minuten. Beim ersten Mal haben wir noch ein Auge zugedrück, sie nur ermahnt. Beim zweiten Mal gab es ’ne formale schriftliche Abmahnung. Und jetzt eben hab ich sie gefeuert.“
Ich räusperte mich. „Sie wissen aber schon, Herr Bruns, dass Anja Berger zwei Kinder hat und alleinerziehend ist? Da kann es schon mal schwierig werden, Zeitpläne einzuhalten. Und in vier Wochen ist Weihnachten. Die Frau sitzt jetzt echt in der Bredouille.“
Natürlich musste Bruns nicht wissen, dass ich Anja auch privat kannte und wir an Wochenenden ab und zu um die Häuser zogen. – Das arme Mädchen, das würden lange Telefongespräche werden an den nächsten Abenden.

„Aber genau das ist doch das Problem, Carlotta!“ Karl Bruns blickte mich überrascht an. „Solche Leute wie Frau Berger kann sich unser Unternehmen nicht leisten. Natürlich steht sie unter Druck, das sehe ich doch auch. Aber dann muss sie eben Stütze beantragen, statt sich für ihren Halbtagshausfrauenjob auch noch von ihrem Arbeitgeber durchfüttern zu lassen. Verantwortung! Wo bleibt die persönliche Verantwortung?!“

Bruns drehte eine Pirouette, wollte erst an seinen Schreibtisch zurück, doch überlegte es sich noch im Weggehen anders.
„Ach ja, Carlotta“, rief er mir zu. „Rufen Sie bitte in der Rechtsabteilung an; die können sich schon mal auf die Kündigungsschutzklage von Frau Berger vorbereiten. Und wo Sie gerade Weihnachten erwähnen: Machen Sie sich doch schon mal ein paar Gedanken über Geschenke für meine Frau und meine Tochter. Und rufen Sie in der Oldtimer Garage an, der Bugatti muss rechtzeitig vor dem Winterschmuddelwetter eingemottet werden.“

Blödes Arschloch, dachte ich bei mir, als Bruns wieder in seinem Büro verschwand. Von wegen „persönliche Verantwortung“! Wer delegieren kann, ist klar im Vorteil. – Diesem Drecksack müsste auch mal jemand so richtig einen einschenken …

~

Kalte Wut ein paar Tage lang auf kleiner Flamme angewärmt und eingeköchelt wird manchmal zu einem sehr schmackhaften Gericht.

Als ich am Freitagabend das Sekretariat abschloss, um endlich ins Wochenende zu gehen, hatte ich eine wunderbare Idee für ein schönes Weihnachtsgeschenk an Herrn und Frau Bruns entwickelt. Ich freute mich schon auf das Telefonat, das ich mir für die beiden freien Tage vorgenommen hatte. Im Büro, soviel war klar, durfte ich dieses Gespräch auf keinen Fall führen.

~

Genau eine Woche später, stürmte Karl Bruns um halb elf in sein Sekretariat. Sein Gesicht war blass, das Haar ungekämmt und er roch unverkennbar nach Alkohol.
„Notfall, Carlotta!“ Der Chef schnaufte, er machte einen gehetzten Eindruck. „Rufen Sie sofort bei der Anwaltskammer an, die sollen mir einen fähigen Scheidungsanwalt empfehlen. Mit dem machen Sie kurzfristig einen Telefontermin aus und schicken ihm vorher eine Kopie davon!“

Bruns warf einen kleinformatigen Fotoabzug auf meinen Schreibtisch. Ich brauchte keinen Blick auf die Aufnahme zu werfen. In meinem Gehirn war jedes Detail dieses Fotos abgespeichert. Fünf Nächte lang hatte ich von diesem Bild geträumt.

Gewissen

Am Wochenende zuvor hatte ich lange mit Olli Grün telefoniert. Olli hatte als Werbegrafiker in unserem Laden gearbeitet, bis ihn Bruns vor ein paar Monaten rausgeworfen hatte. Wegen „persönlicher Verfehlungen“, was auch immer dahinter stecken mochte.
Jedenfalls war Olli nicht nur bereit gewesen, mir zu helfen. Er hatte sich geradezu darum gerissen, den Job unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu übernehmen, den ich ihm angetragen hatte:
Man nehme drei oder vier Fotos, auf denen Karl Bruns während des letzten Betriebsausflugs der Firma abgebildet war. (Die wollte ich beisteuern.) Dann mache man sich auf die Suche nach passendem Bildmaterial im Internet. Sodann – und das war der schwierige Teil – photoshoppe man den Bruns in ein kompromittierendes Foto hinein. – Olli hatte sich selbst übertroffen. Nicht zu dick aufgetragen, aber eindeutig.

„Ich weiß nicht, welcher gewissenlose Arsch dieses Foto aufgenommen und in zehnfacher Ausfertigung an meine Frau geschickt hat, Carlotta!“ Karl Bruns starrte mich mit unverkennbarer Furcht im Blick an. „Und wann, und wo? Ich war doch immer so vorsichtig bei meinen Dates!“

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4 Kommentare

    1. Seit Photoshop WISSEN wir, dass man keinem Foto trauen darf. Was vorher war, wissen wir NICHT. #propaganda

  1. Jetzt hast Du mich in die Irre geführt ;-), ich dachte, der Cheffe hätte was mit der gefeuerten Kollegin gehabt, die dann auf dem Bild gemeinsam mit ihm… (und dann wieder eingestellt wird, weil sich ja so die Katastrophe verhindern lässt, oder so). Tjaja. Man sollte immer bis zum Ende lesen ;-)

Kommentare sind geschlossen.

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