Krokodile!

Cocodrilo

In den Achtzigern verbrachte ich einige Monate in Diensten einer politischen Stiftung in Costa Rica. Ich hatte nebenbei sehr viel Zeit für Erkundungen und begleitete ab und zu einen jungen Ranger durch den karibischen Nationalpark Tortuguero, als ehrenamtlicher Übersetzer. Er sprach nur spanisch, die Touris nichts anderes als englisch oder deutsch.
Eines der absoluten Highlights auf den Bootstouren durch den Küstendschungel waren die Momente, wenn Raúl den Außenborder drosselte und irgendwo ins Unterholz deutete: „Miren, cocodrilos.“ – „Schaut mal, Krokodile.“
Wir paddelten dann näher ans Ufer, bis schließlich alle die Tiere erkennen konnten. Das waren meist kleine Burschen, einschließlich Schwanz nicht länger als ein menschliches Bein, aber immer hoch aggressiv und angriffslustig. Raúl machte sich einen Spaß daraus, die jungen Krokos sich wie kleine Hunde ins Paddel verbeißen zu lassen, während dazu die Auslöser der Spiegelreflexkameras seiner Gäste klackerten wie auf einer Pressekonferenz, in der sich Obama und Putin in den Armen liegen.
Ich hatte dabei ja immer ein bisschen Gänsehaut, wenn ich an Mama und Papa der Krokokids dachte, die ja auch irgendwo in der Nähe sein mussten: „¡No tenga miedo! – Keine Angst!“, erklärte mir Raúl grinsend. „Die sind viel zu schlau, um sich mit Menschen anzulegen.“

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In den letzten Jahren vor dem Abitur gab es an unserer Schule eine feine, wenn auch sehr kleine Kapitalistenfraktion; mit frühen Popper-Haarschnitten und dicken Statussymbolen. Der P., ungekrönter Chef der künftigen Wirtschaftselite, fuhr am Tag seines 18. Geburtstages mit einem gebrauchten, aber pikobello gepflegten Porsche-Cabrio vor.
Mit dem konnten natürlich nicht alle Poppis mithalten. Aber ein Statussymbol einte sie alle: Als Uniformelement trugen sie Oberteile von Lacoste, der Marke mit dem Krokodil. Im Sommer Polo-Shirts, im Winter Pullover mit V-Ausschnitt.
Wir anderen, die wir vielleicht besser Fußball spielen konnten als die Poppis, die wir progressivere Musik hörten und unser Leben insgesamt experimenteller gestalteten, hassten die Lacoste-Fraktion aus ganzem Herzen. – Das war Neid, sagt Ihr? Nein. Ganz gewiss nicht. Wir hätten niemals getauscht mit diesen Bengeln, Muttersöhnchen allesamt und Adepten der Sträuße.

Ich bin ganz sicher, dass in jener Zeit meine abgrundtiefe Verachtung für Markengedöns und den unbezahlten Werbeschaulauf mit Markenkleidung angelegt wurde. Natürlich ist mir klar, dass die Botschaft eines Lacoste-T-Shirt-Trägers nicht lautet: Seht mal, ich werde von denen bezahlt; sondern: Seht mal, das kann ich mir leisten!
Trotzdem stehe ich fassungslos vor all den Menschen, die quer über die Brust den überdimensionierten Schriftzug HOLLISTER tragen, so dass ihn sogar Sehbehinderte noch auf hundert Meter Entfernung ablesen können. Und mir gruselt beim Gang durch die Innenstadt, wenn ich gefühlt als einziger Mensch durch ein Heer untoter Jack-Wolfskin-Zombies mit dem gestickten Tatzenabdruck auf Brust oder und Rücken von Outdoor-Jacken schleiche.

Wieso in aller Welt gibt man für solch unverschämte Werbung auch noch viel Geld aus?
Als junger Kerl fuhr ich mit magnetischen Werbetafeln der Tankstellenkette JET an den Autotüren durch die Gegend. Dafür bekam ich eine kostenlose Tankfüllung Sprit im Monat. Jahre später knibbelte ich jedesmal, wenn das Auto aus der Werkstatt kam, mit Heißluft aus dem Föhn den Werbeaufkleber von der Heckklappe.
Hingegen bezahlen die menschlichen Abercrombie-Hollister-Wolfshaut-Litfaßsäulen für ihre Werbeklamotten sogar freiwillig Geldbeträge, die um ein Vielfaches über denen gleichwertiger No-Name-Produkte liegen.

Versteh einer die Menschen.

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(Zu diesem tierischen Ausbruch inspiriert hat mich Lakritze.)

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