Fragen Sie Frau Annette

Meine Bekannte, die Frau A., liebäugelt seit geraumer Zeit damit, ein eigenes Netztagebuch zu führen. „Dann könnte ich bei all diesen Umfragen teilnehmen, diesen Stöckchen“, jubiliert sie. „Überhaupt könnte ich ja ein Stöckchenblog aufmachen, in dem ich nichts anderes mache, als Fragelisten abzuarbeiten!“
„Fragen Sie Frau Annette!“, stöhne ich und stelle mir vor, wie Frau A. im weißen Arztkittel und mit rot lackierten Fingernägeln am Küchentisch über ihrem Macbook sitzt, die schwarzgerahmte Brille auf der Nase, und auf die Standardfrage „Der beste Sex?“ mit „Ja, durchaus!“ anwortet.
„Glaub bloß nicht, dass das so einfach ist“, werfe ich deshalb ein. „Da gibt es schon mal Fragen, die sich nicht so einfach beantworten lassen, wenn man ernsthaft an die Sache herangehen will. Mir zum Beispiel hat gerade der Herr Smamap so einen Katalog hereingereicht, bei dem ich doch arg ins Grübeln gerate.“
„Ach was“, winkt Frau A. ab, „stell Dich nicht so an, so schwer kann das doch gar nicht sein. Weißt Du was? Lass mich doch einfach mal für Dich auf diese Fragen antworten!“
„Du für mich? So gut kennst Du mich?“
„Na klar. Und wenn ich mal daneben liege, kannst Du das ja immer noch zurecht rücken. Du schreibst schließlich. Wer schreibt, der bleibt.“

„Wenn Du meinst.“ Noch zögere ich, schlage aber dann doch die Liste von Herrn Smamap auf. „Da, schon haben wir den Salat. Gleich die erste Frage ist echt schwierig: Wenn ich die Macht hätte, die Welt zu verändern, was würde ich verändern?
Frau A. grinst. „Das ist doch nicht schwierig, mein Lieber. So wie ich Dich kenne, ist Dir doch sonnenklar, dass Du niemals in der Lage wärst, die Welt zu verändern. Egal, wieviel Macht oder wieviel Geld man Dir andienen würde. Deine Antwort lautet also: Nichts. Du hast nämlich nicht die geringste Ahnung, was die Welt verändern könnte. Das braucht Dich aber nicht in Depressionen zu stürzen. Denn wenn die Leute ehrlich sind, weiß das keiner.“

Ich zucke die Schultern, tippe den Vorschlag von Frau A. ein und wende mich der zweiten Frage zu. „Du liebes bisschen“, murmle ich, „schon wieder so ein Hammer, hör mal: Was würde ich unternehmen, um im vorgenannten Fall zu verhindern, dass ich auch nicht besser werde, als die aktuellen »Weltverbesserer«?
Jetzt kichert Frau A. „Muss ich Dir die Antwort darauf wirklich diktieren?“
Nein, das muss sie nicht. Ich tippe schon wieder: N-i-c-h-t-s. – Logisch, wie sollte ich etwas besser machen als andere, wenn ich gar nicht wüsste was. Geschweige denn wie.

„Ha, jetzt wird es praxisnäher“, juble ich angesichts der dritten Frage. „Außerdem ist das genau die richtige Frage für Dich, eine typische Frauenfrage: Was ist für mich der GAU in einer zwischenmenschlichen Beziehung?
„Was soll das denn heißen, »typische Frauenfrage«?“ A. runzelt die Stirn und wirft mir einen strengen Blick zu. „Ich glaube nicht, dass sich Männer und Frauen bei dieser Frage unterscheiden. Es gibt nur ein einziges Kriterium, an dem eine Beziehung zwischen Menschen endgültig scheitern kann. So ein GAU tritt immer dann ein, wenn das Vertrauen weg ist, wenn es also an Ehrlichkeit fehlt. Egal ob es dabei um eine berufliche Beziehung zur Chefin oder zum Mitarbeiter, um eine partnerschaftliche Beziehung, oder um die Eltern-Kinder-Beziehung geht. – Meine Meinung. Und Deine bestimmt auch, stimmt’s oder hab ich recht?“

Allerdings hat sie da recht, die A., und ich bin schon gespannt, wie sie mit der vierten Frage auf der Liste umgeht. „So, Schätzchen. Jetzt wird es heikel. Sprich bitte langsam, damit ich alles korrekt mitschreiben kann: Was ist für mich die Hauptaufgabe eines Politikers?
„Du meinst, ich könnte bei diesem Thema ausfallend werden? Keine Angst. Isch 'ol mir vorher noch eine Glas von diese Weißwein, die so schön 'at geprickelt unter meine Bauchnabel.“ Die A. verschwindet in der Küche.
„Aha!“, stellt sie fest, als sie wieder aufs Sofa zurückkehrt. „Blanc Pescador also, den muss ich mir merken. Und die Politiker sollten sich merken, dass sie nur eine einzige Aufgabe haben. Sie sind Volksvertreter. Also sollten sie doch die Meinung der Mehrheit aller Menschen durchzusetzen versuchen, die sie gewählt haben. Oder siehst Du das anders?“

Nein, natürlich sehe ich das nicht anders und bin froh, dass wir mit der nächsten Frage mal etwas Konkretes anpacken können. „Jetzt bin ich gespannt auf Deine Einschätzung: Was ist meine liebste Freizeitbeschäftigung?
„Jetzt hat er Dich am Wickel, mein Lieber.“ Frau A.’s Augen blitzen. „Wahrscheinlich würdest Du Dich an dieser Stelle ganz gern hinter Deiner kulturellen Überlegenheit oder Deiner Sportlichkeit verstecken. Mit sowas wie »Bücher lesen« oder »Gipfelstürmen«. Aber das wäre nicht die Wahrheit, denk nur an die Frage mit dem zwischenmenschlichen GAU. Tatsächlich ist es Dir doch am liebsten, mit Leuten wie mir herum zu hängen, dabei Musik zu hören, etwas zu trinken und küchenphilosophische Reden zu schwingen. Dafür lässt Du jedes Buch und jeden Sportschuh liegen. Sonst würden wir doch gar nicht über all diese Fragen sprechen.“

„Na ja, ganz ehrlich: Momentan redest Du und ich schreibe mit“, versuche ich mich herauszureden und habe schon ein wenig Angst vor A.’s Antwort auf die nächste Frage. „Was meinst Du: Würde ich gerne die Möglichkeit haben, etwas in meinem Leben ungeschehen machen zu können?
„Herrje! Du? Etwas ungeschehen machen wollen? Das glaub ich nicht. Das würde so gar nicht zu Dir passen. Geschehen ist geschehen, man muss einfach das Beste daraus machen.“ – Da bin endlich ich es, der grinst.

„Sieh mal“, fahre ich rasch fort. „Natürlich kommt jetzt noch die obligatorische Frage: Warum schreibe ich einen Blog?
„Geh mir fort. Die hast Du doch längst beantwortet, und das nehm ich Dir auch so ab.“

Wo sie recht hat, die Frau A., da hat sie recht. Rasch lese ich also die beiden folgenden Frage vor, weil sie thematisch zusammengehören: „Glaube ich an eine Religion? – und – Was wäre für mich die Konsequenz, wenn sich plötzlich herausstellt, dass alle Religionen dieser Welt gegenstandslos sind; es keinen Schöpfer gibt?
Da bricht die A. augenblicklich in gackerndes Gelächter aus. „Entschuldige bitte, ich wollte Dich nicht ärgern. Aber Du und Religion? Zwei Welten prallen aufeinander! Also gäbe es auch keine Konsequenz für Dich, wenn es keinen Schöpfer gibt. So rechthaberisch bist Du nicht, dass Du dann aufstehen würdest, um herumzubrüllen: »Ich hab es doch schon immer gesagt!«. Wahrscheinlich würdest Du einfach die Schultern zucken und Dir ’nen Obstler genehmigen.“

Wenn nur alle Fragen so einfach wären. Bei der nächsten hab ich selbst nämlich tatsächlich keine Idee. Also bin ich sehr gespannt, wie das Frau A. sieht.
„Was meinst Du: Ich kann einen einzigen Menschen, meiner Wahl, treffen, egal ob noch lebend oder schon gestorben; für welchen Menschen entscheide ich mich?
„Tja, ich könnte es mir jetzt einfach machen.“ Gerät die A. nun doch ins Stocken? „Ich könnte behaupten: für mich. Schließlich bist Du doch froh, dass ich Dir hier die Arbeit abnehme mit diesen ganzen Fragen. Aber das wäre einerseits vermessen und andererseits bestimmt auch zu kurz gesprungen.“
Ich hole der A. noch einen Nachschlag Prickelwasser, das ihre Synapsen stimulieren, und ein Tellerchen Bruchschokolade, die ihre Antwort gnädig ausfallen lassen soll.
„Das ist gar nicht so einfach“, sinniert Frau A. „Mit so Leuten wie Marx, Einstein, Willi Brandt oder Francisco Franco, die Dich als Personen interessieren könnten, hast Du gar keine gemeinsamen Gesprächsthemen, wenn Du ehrlich bist. Da biste einfach zu wenig im Thema. Es müssten also schon Menschen sein, die Dich inspirieren und mit denen Du ausreichend Gemeinsamkeiten hast …“
Frau A. hat das Schokoangebot schwer dezimiert, als es endlich aus ihr herausplatzt:
„Ich hab’s! – Martenstein. Harald Martenstein. Den magst Du doch, und ich finde, der tickt ganz ähnlich wie Du. Außerdem könnt Ihr beide schreiben, auch wenn er das beruflich macht und Du just for fun. – Ich stell mir das toll vor: Zwei weiße alte Männer sitzen im Orient Express, trinken Kognak, rauchen Zigarren und ziehen dabei über die Welt her.“

Was soll ich sagen? Irgendwie könnte ich mich mit Frau A.’s Vorschlag recht gut anfreunden, jedenfalls bis auf den Teil mit den Zigarren. Auch wenn ich selbst nicht im Traum darauf gekommen wäre.
„Apropos Traum. Da sind wir auch schon bei der allerletzten Frage, denk gut über Deine Antwort nach: Was ist mein sehnlichster Traum?
„Dein sehnlichster Traum?“ Die A. starrt mich an, als wolle sie mit ihrem Röntgenblick ins Innere meines Schädels eindringen. „Du träumst? … Aber natürlich träumst Du. Jeder Mensch träumt. Und bestimmt hast auch Du Wunschträume. Aber einen »sehnlichsten Wunsch« kann ich mir bei Dir gar nicht vorstellen. Diese Frage kann ich nicht beantworten. Das musst Du schon selbst übernehmen.“

~

Ich bin erstaunt, wie erfolgreich sich die gute A. durch meine Antworten hindurch laviert hat. Scheinbar kennt sie mich wirklich ziemlich gut. Sogar die letzte Antwort passt: Ich habe keine sehnlichsten Wünsche. Über unrealistisches Zeug wie Weltfrieden oder Gesundheit für alle schüttle ich nur den Kopf, ich verschwende meine Wunschtraumzeiten doch nicht an Unerreichbares. Und für mich selbst hab ich keine besonderen Wünsche.

Ach ja: Eine Antwort hätt ich noch. Nämlich die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Die lautet nämlich nicht 42, mein lieber Douglas, sondern 3,1415926. – Juhu! Heut ist Welt-π-Tag!

~

(Wie immer erspare ich mir und Euch aus bekannten Gründen die Weitergabe des Stöckchens. Falls Frau A. ihr angedachtes Stöckchenblog wahr macht, erfahrt Ihr das selbstverständlich als erste.)

16 Kommentare

    1. Wahnsinn: „Tag der Potatoe Chips“, „Tag der Tortilla-Chips“, „Tag der Käse Flips“ …
      Wir werden aufpassen müssen, dass nicht eines Tages jedes Kochrezept beim Chefkoch einen eigenen Jahrestag bekommt. (Wobei, vielleicht hülfe dies fantasielosen Köchen auf die Sprünge?)

      Auf der Nebenspur: Man könnte ja mal bei diesen Stöckchenspielen nach dem Lieblings-Junk-Food der Leute fragen. Frau Annette putzt ja gern Zarbitterschokolade weg und ich hab es eher mit Salzbrezelchen.

    1. Der Schniblo-Tag! Ich dreh durch. Mit dieser Abkürzung kommt der auf einmal so harmlos daher. Wird er hingegen ausgeschrieben, der Schnitzel-und-Blow-Job-Tag, dann wenden sich alle pikiert ab, weil da ja etwas Ungehöriges, womöglich Frauenverachtendes zelebriert werden soll.

      Ich oute mich mal: Ich bin ein echter Fan des Schniblo-Tages. Also nicht dass Sie mich jetzt falsch verstehen, ich bin kein Fan seiner Durchführung*. Vielmehr schätze ich den Tag als groteske Verzerrung und Persiflage auf den Valentinstag. 14. Februar, 14. März. Beides Schwachsinn in Form von Institutionalisierung zweier vollkommen hirnrissiger Ideen.
      Der Schniblo-Tag ist die absolut perfekte Ergänzung zum Valentinstag: Wir sollten bitte beide unbedingt in der Versenkung der kollektiven Scham veschwinden lassen!

      *) Wie ich überhaupt alle zwangsverpflichtende Handlungen verabscheue.

  1. Und für Frau A. ist heute dann noch der Nachhall des Weltfrauentages ;)
    Danke für’s Mitmachen

    1. Stimmt ja: Den Weltfrauentag hatte ich ganz vergessen. Aber ich finde, Frau A. ist gut weggekommen. Ein paar fetzige Antworten im Tausch gegen einen Hügel Zartbitterschokolade und vier Achtel Blanc Pescador? – Eine echte Win-Win-Situation.

  2. Es scheint, Ihre Frau Anette ist eine ganz nette.
    Die kennt sich aus, und sie kennt Sie schon recht. Wenn auch nicht in- und auswendig.
    Sehnlichster Traum? Ich bin etwas irritiert. Ist da nicht doch der sehnlichste Wunsch damit gemeint?
    Also wenn mich jemand nach dem sehnlichsten Wunsch fragen würde, dann würde ich ganz ehrlich sagen: Ich wünsche mir am sehnlichsten einen fiktiven Liebesbrief von Herrn Wortmischer. Aber mich hat ja niemand danach gefragt.
    Hui, ich scheine heute lustig zu sein. Das wird nu was werden …

    1. Fordern Sie es nicht heraus, Frau Rosenherz! – Wer weiß, ob Sie hinterher noch so lustig sind wie jetzt ;-)

    2. Uiii, das klingt gefährlich aus Ihrem Munde. Nein, nein, ich fordere nicht(s) heraus. Es war nur die Rede vom sehnlichsten Wunsch. Und wie heißt es doch so schön, Wünsche sind frei.

    3. Wünsche sind frei. Und die schönsten sind oft die, die nicht in Erfüllung gehen. An denen zehrt man oft am längsten!

    4. Das ist ähnlich wie bei den Geschenken für Menschen, die wir liebgewonnen haben. Wo ich lange vor dem Geburtstag überlege und die Augen offen halte, auf welche Weise ich der geschätzten Person bereiten könnte. Und dann das wundervolle Gefühl, der sorgsam ausgewählten Geschenks, das ich selbst noch geheim halte …

Kommentare sind geschlossen.

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