Nicht das Alter ist das Problem,
sondern unsere Einstellung dazu.
Marcus Tullius Cicero
Warum nur haben so viele Menschen ein Problem mit ihrem Alter oder dem Altern? Gar nicht so wenige verschweigen gegenüber Mitmenschen oder Arbeitgebern ihr Alter, oder machen sich jünger als sie sind. (Älter als es in ihren Pässen steht, lügen sich wohl nur Teenager.)
Das verstehe ich nicht. Mit einem Arbeitgeber, der mich wegen meines Alters nicht einstellt, will ich ohnehin nichts zu tun haben; das würde nämlich sicher nicht lustig. Und mit einer Frau etwas anzufangen, die sich nicht für mich interessiert, weil ich ihr zu alt bin, und ihr deshalb ein paar Jahre zu unterschlagen, wäre wohl maximal bescheuert.
Noch zu keinem meiner runden Geburtstage mit Nullen hinten dran habe ich mit Bedauern in die Vergangenheit geblickt, oder mir gar gewünscht, eine oder zwei Dekaden wiederholen zu können. Warum denn auch? Es war – und ist – immer okay, so wie es eben gerade war. Ich fühle mich wohl in meiner (alten) Haut, weil ich nie den Gedanken hatte, in jüngeren Jahren etwas versäumt zu haben.
Mein nächstes Leben möchte ich rückwärts leben. Man fängt an, indem man stirbt. Das Schlimmste hat man dann schon mal hinter sich. Plötzlich wacht man in einem Altersheim auf und fühlt sich von Tag zu Tag besser.
Irgendwann wird man rausgeschmissen, weil man einfach zu gesund ist. Man fängt an, die Rente zu sparen, und eines Tages geht man zu seinem ersten Arbeitstag. Dieser beginnt gleich mit einer riesen Party und einer goldenen Uhr, die man geschenkt bekommt. Nun arbeitet man die nächsten 40 Jahre, bis man jung genug ist, um den Ruhestand zu genießen. Man feiert, trinkt Alkohol und wechselt ständig die Partner. Dann ist man bereit für das Gymnasium. Und schließlich für die Grundschule. Man wird zu einem Kind. Zu einem spielenden Kind. Man hat keinerlei Verantwortung.
Irgendwann ist man ein Säugling und wird schließlich geboren. Die letzten 9 Monate des Lebens verbringt man schwimmend in einem luxuriösen, perfekt klimatisierten und von Tag zu Tag größer werdenden Wellness-Apartment, mit einem hervorragenden Zimmerservice. Dann ist es plötzlich soweit: Man beendet das Leben als Orgasmus!
Woody Allen
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Mein Alter ist das einzige persönliche Datum, das hier jeder Fritz, der sich dafür interessiert, tagesaktuell nachlesen darf. Ich bin weder stolz auf mein Alter, noch ist es mir peinlich. Aber solange mein Hausarzt sagt, ich hätte die rüstige Konstitution eines Fünfunddreißigjährigen, solange es nirgendwo zwickt und zwackt, solange ich beim Sport mit meinem Sohn mithalten kann und solange ich keine Sehhilfe brauche – solange gibt es nun wirklich überhaupt keinen Grund, mir Sorgen zu machen.
Es gibt noch viel zu erleben, packen wir es an! Und im Gegensatz zu Woody Allen wissen wir nicht, wie viele Tage das Leben für uns noch vorgesehen hat.
Fünfzig ist das neue Dreißig? – „Best-Agers“ statt „Silberrücken“?
Mag schon sein. Aber natürlich ist mir bewusst, dass das nicht ewig so bleiben wird. Früher oder später werden auch mein Haar grau und meine Muskeln wabbelig werden, unausweichlich wird auch bei mir irgendwann etwas nicht mehr so funktionieren, wie ich es noch immer gewohnt bin.
Ob ich dann gelassen darauf reagieren werde, weiß ich noch nicht. Ich hoffe allerdings, dass ich mit einem Augenzwinkern darüber hinwegsehen kann; und dass die Fehlfunktionen nicht so arg und nicht so schmerzhaft sein werden, dass sie mich den Tod herbeiwünschen lassen werden.
Die genetische Veranlagungslehre macht mir weis, dass ich ziemlich alt werden könnte. Meine Urgroßeltern starben über hundertjährig, meine Großeltern in ihren Neunzigern, und meine Eltern sind heute Mittachtziger, die noch völlig selbständig leben. Statistisch gesehen werde ich viele meiner Altersgenossen überleben. Und wenn es doch nicht so kommt, dann bin zumindest nicht ich es, der ein Problem hat.
Wenn jedoch dereinst tatsächlich immer weniger Freunde um mich herum übrig bleiben und mir irgendwann die Gesprächspartner ausgehen werden, dann verlasse ich mich darauf, dass ich auch mit mir alleine zurecht kommen kann.
Ich stelle mir das gerne so vor: ein Ohrensessel in einem ausreichend beheizten Raum, womöglich mit Kaminfeuer; eine Staffelei und ein Skizzenblock, an denen ich male und zeichne, wenn mir danach ist; und ein Laptop auf dem Tisch, an dem ich auch in dreißig oder vierzig Jahren noch Texte für die Wortmischerei schreibe. Oder vielleicht doch irgendwann eine Geschichte veröffentliche?
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Ein schöner, geradezu anheimelnder Zukunftstraum ist das, und ich ziehe ihn auf jeden Fall der Vorstellung vor, ich würde einst gichtig und dement im Bett liegen, mich ab und an vom Pflegedienst wenden lassen und darauf warten zu müssen, dass irgendjemand endlich das Licht abschaltet. Ich mag keine gruseligen Visionen meines eigenen Endes. Deshalb halte ich mich an den Ohrensessel und an das Kaminfeuer.
Übrigens: Trotz meiner so überhaupt nicht rheinischen Wurzeln bin ich ein überzeugter Anhänger der sympathischen elf Artikel des Rheinischen Grundgesetzes. Kurz gefasst …
Et kütt wie et kütt,
un‘ et hätt noch emmer joot jejange.
[dark_box]Frau Quadratmeter hat einen leichtherzigen und sehr angenehm zu lesenden Text über die Unsinnigkeit der Haderns, also über das Hadern mit dem Älterwerden geschrieben und auch gleich noch eine Blogaktion unter dem Stichwort #älterwerden angekündigt, in der sie Texte verlinken möchte, die sich (ernsthaft?) mit dem Altern beschäftigen. – Und das hier waren meine zwei Cent dazu.[/dark_box]
Das ist ein wunderbarer Text. Danke dafür.
Ich wünsche dir, dass du so alt werden kannst, wie du es dir erträumst. Ich erleb ja in meinem Berufsalltag eher die anderen, die über eine Magensonde ernährt werden und zu ihrer Mama wollen, wenn sie überhaupt noch etwas wollen.
Tja, vor solchen Schreckensszenarien ist niemand sicher. Man kann nur hoffen. (Beten liegt mir nicht ;-)
Freut mich aber, dass Dir meine Ansprache gefällt.
Danke für den Text! Habe ihn bei mir eben schon verlinkt. Ich fände es sehr schade, wenn einer dieser Texte unterginge.
Herzlichen Dank für die Verlinkung. – Und ich bin auch schon sehr gespannt, was sich da noch alles einfinden wird. Spannendes Thema!
Puuhhh! Dazu was schreiben? Das ist für mich ein Thema mit Dornen. Mit 17 Jahren bereits mit einer typischen Alterserkrankung 60-Jähriger konftrontiert zu sein, ist alles andere als eine Einstellungssache zum Älterwerden. Mit 33 die Aussicht, spätestens in zehn Jahren im Rollstuhl zu sitzen, naja …
Ich kenne die Zeiten, in denen ich im Bett lag und mich keine zehn Zentimeter bewegen konnte. Und niemand im Haus, der zu Hilfe eilen kann. Geschweige denn ein Telefon in der Nähe. Da können sich Zentimeter in der Wohnung wie Kilometer im Gebirge anfühlen, die es humpelnd zu bewältigen gilt.
Ich wolle immer autonom und selbstständig sein.
Nein, das Thema ist mir im Augenblick emotional viel zu nahe, dass ich dazu einen literarisch ansprechenden Text schreiben möge oder wollte.
Da repräsentieren wir beide scheinbar die beiden Enden eines breiten Feldes. Die eine, die ihr Leben lang mit Krankheiten konfrontiert war, und der andere, dem ein halbes Jahrhundert lang nichts Unangenehmes zugestoßen ist.
Ich kann schon verstehen, dass Sie zu diesem Thema lieber schweigen.
Das haben sie schön zusammengefasst, Herr Wortmischer.
Es geht allerdings weniger darum, dass ich lieber Schweigen will. Wenn ich zu so einem Thema was schreibend erzähle, da liegt Altern und Verlust so nahe beisammen – und da wirds emotional heftig. Mein Leben ist merhmals anders gelaufen, … als … naja ….
Heute, als ich vom Dienst heimfuhr, ist mir das Blogthema wieder in den Sinn gekommen. Mir sind die Radfahrer aufgefallen, die das schöne Wetter am Sonntagabend genossen und entlang der Au radelten. Und am Radweg, die Joggenden in der Abendsonne. Mir sind die Tränen gekommen. Ich kann beides nicht mehr, weder laufen noch Radfahren. Obwohl ich als Kind so gerne und soviel mit dem Rad herum gedüst bin. Das war schlagartig zu Ende.
Ich hatte zusammen mit meinem Vater einen schweren Autounfall – mit 14. Ich saß als Beifahrerin daneben. Er starb. Mein Becken mehrfach gebrochen, offener Bruch am Knie, und so Sachen halt. Im Spital haben mich die Ärzte so gut wie möglich zusammengeflickt. Aber unter anderem, mit dem Radfahren wars vorbei. Und mit dem Älterwerden kann ich nun auch nicht mehr laufen, was mir bis vor ein paar Jahren noch möglich gewesen ist. Doch ich übe mich darin, viel mehr auf das zu schauen, was mir (noch oder wieder) möglich ist. – Dabei jedoch schreibend ins Detail zu gehen, würde mir mehr Kraft kosten, als ich momentan aufbringen kann. Es gibt ja jetzt jemand im familären Kreis, der mit 93 … zwischen Leben und … ja … wir wissen nicht … … Stunden? …. Tage? Mein eigenes Älterwerden? … jetzt nicht.
Ich kann das sehr gut verstehen, und Sie haben – wie man nach den Stichworten von eben begreift – die besten Gründe, nicht in der Vergangenheit herumzurühren.
Ich selbst kaue gerade auch am traurigen Ende der Laimer Brösel herum. Dieser Brocken in meinem Mund ist zäh, die Gedanken dunkel, und ich bin noch nicht ganz zufrieden mit meinem Text. Aber in der kommenden Woche gibt es hier dann den Abgesang auf die Valley-Riders zu lesen. – Mir tut es gut, diese Erinnerungen in Worte zu fassen.
Lieber Wortmischer, das glaube ich gerne, dass es Ihnen gut tut, Erinnerungen in Worte zu fassen. Auch mir ist das Schreiben eine Kraftquelle geworden.
Einerseits freue ich mich auf Ihre Erzählung über den Abschied, was auch immer da mit dem Laimer Brösel los war. Andererseits, ich werde mich wegen eines Abschieds ein Weilchen aus dem Blogleben zurückziehen. Es gibt … einen Todesfall in der Familie. Ein Abschied … von einem ans Herz gewachsenen Leben.
Oh, das hört man ungern. Aber irgendwo haben Sie das schon mal am Rande erwähnt. Der Verlust kommt also wohl nicht ganz unerwartet. Ich wünsch Ihnen viel Kraft, das durchzustehen.
Lieber Wortmischer,
was das Altern angeht und die Einstellung dazu, haben Sie mir sehr aus der Seele gesprochen. Ich meine den Teil, wo die Menschen ihr Alter verheimlichen wollen, wofür ich gar kein Verständnis habe. Es gibt ja genug Beispiele von Schauspielerinnen, die nach dem Entfernen der Falten dermaßen unnatürlich und hässlich aussahen, dass sie es lieber hätten lassen sollten. Es gibt so viele Beispiele schöner Menschen, die im Alter sogar noch attraktiver aussehen als in jungen Jahren, und „Schönheit“ ist ja auch weitgehend subjektiv.
Das Einzige, was mich am Älterwerden stört, ist die Tatsache, dass ich nicht mehr lange (genug) leben werde. Weil ich doch so gerne lebe! Da ich weiß, wie schnell die letzten 66 Jahre vergangen sind, und dass die Uhr immer schneller tickt, vermute ich eben, dass ich weniger Zeit vor mir habe als hinter mir. ;)
Nur DAS ist schade. ;)
Gruß Heinrich
Wohl wahr, das mit der immer schneller tickenden Uhr. Wobei ich irgendwo einmal gelesen habe, dass die Uhr (wie zu vermuten) natürlich nicht schneller tickt, sondern wir zum Denken immer länger brauchen, je älter wir werden. Deshalb passen auch immer weniger Gedanken in einen Tag, und die Zeit scheint dahinzurasen; während Kindern die gleiche Zeitspanne unendlich lange vorkommt, weil sie gar nicht so viele Gedanken fassen können, um bei ihren rasanten Denkvorgängen die Zeit ausfüllen zu können.
Allerdings befürchte ich: Schöner werden wir alle nicht. (Aber wenn wir eines Tages so lange zum Nachdenken brauchen, dass wir es zeitlich gar nicht mehr schaffen, die Attraktivität eines Gegenüber einzuschätzen, solange er uns gegenüber sitzt, dann ist die Welt plötzlich von Schönheit erfüllt!)
Hach. Das war ja eine grandiose Inspiration ;-)
http://www.jaellekatz.de/fragen/alt-das-sind-doch-immer-nur-die-anderen
Besten Dank für die Gedanken! (Und auch für den Lacher über die drei Bäume ;-)
Ich hätte auch noch einen Baum gehabt, der bereits gefallen ist ;-)
Ich saß gerade gestern mit einem Freund auf dem Marktplatz; wir genossen Mettbrötchen und Kaffee und zerrissen uns das Maul über all das junge Gemüse, das da in zu engen Hosen und permanent auf Bildschirme starrend unterwegs war und … naja. Irgendwann guckten wir uns an und lachten schallend. Jetzt sind wir also in dem Alter. Macht mehr Spaß, als wir uns das als junges Gemüse hätten vorstellen können.
(Schöner Beitrag, und sehr nachdenkenswert — Älterwerden ist das eine, Altwerden dann doch etwas anderes. Ich glaube aber, wer das Älterwerden mit Grazie hinbekommt, wird das Altwerden leichter meistern. Ich geh mal bißchen nachdenken; danke!)
„Älterwerden mit Grazie“, ja, das wäre es. Auch für uns Männer.
Lästern über das Rudelverhalten anderer Generationen macht, glaub ich, in jedem Alter Spaß :-)