Ich lebe jetzt fertig

El bar de la cocina

Hat man plötzlich ganze Tage zur freien Verfügung, dann stechen einem schon mal Dinge ins Auge, über die man als Früh-morgens-Aufsteher und Spät-abends-Heimkehrer monate- oder gar jahrelang großzügig hinweg gesehen hat. Die man noch nicht einmal mit ganz niedriger Priorität auf die To-Do-Liste gesetzt hatte. In diesem Sinne blicke ich nun jeden Morgen beim Frühstück auf mein Vorratsschränkchen; insbesondere auf die Flaschensammlung auf diesem Schränkchen:

Da stehen Flüssigkeiten, von denen ich nicht einmal ansatzweise abschätzen kann, seit wann sich diese in meinem Besitz befinden. So manches Fläschchen muss schon an die zehn Jahre bei mir herumstehen. Und beileibe nicht bei allen dieser historischen Besitztümer kann man davon ausgehen, dass der (hochprozentige) Inhalt noch immer genießbar wäre, würde man ihn verkosten. – Da muss ich heute mal durch. Mit dem eisernen Besen. Verklappen, was ich keinem meiner Besucher mehr vorsetzen kann, ohne eine Knastkarriere als Giftmischer zu riskieren. So sei es also!

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Ich freunde mich gerade mit meiner neu gewonnenen Freiheit an. Modeste schreibt in ihrem Jahresrückblick 2017 desillusioniert über ihre festgefahrene Lebenssituation:

„Ich erwarte nichts von der Zukunft, in der keine Veränderungen angelegt sind, weil ich die vier Wände meines Lebens fest verleimt habe, und alle Fenster fester verschlossen sind, als ich mal dachte.“

Vor vier Jahren habe ich schon eine erste Wand meines Lebens eingerissen, als die Schmerzdame und ich uns gegenseitig die festgefahrene Partnerschaft aufkündigten. Und gerade bin ich dabei, eine zweite Wand abzureißen, beziehungsweise die Trümmer dieser zweiten soeben eingerissenen Wand aus dem Weg zu schaffen: Schluss mit dem Job bei Menschen, die ich nicht mehr verstehe und die mich nicht mehr verstehen wollen.

Auch wenn es sich in einem solchen Haus mit nur zwei Wänden mitten im Winter ziemlich frisch lebt, falls der Wind gerade mal aus der falschen Richtung bläst;
auch wenn ich gerade den kleinen, fetten Beamten, den mit den Ärmelschonern, der ganz hinten in meinem Oberstübchen in seinem drögen Sechzigerjahrebüro sitzt und tagein, tagaus meine Rentenpunkte zählt, mit einer Vuvuzela aus seinem Nachmittagsschläfchen gerissen habe;
auch wenn der eine oder andere aus der Leserschaft die Stirn runzelt über einen Endfuffziger, der nochmal alles hinschmeißt;
… das fühlt sich doch gerade sehr spannend an! – Wird es mir gelingen, auf meine alten Tage noch einmal einen Arbeitgeber von meinen Qualitäten zu überzeugen? Oder muss ich mir etwas ganz anderes überlegen? Eine Ich-AG? Taxifahren? Oder doch noch mal irgendwas ganz Neues in Spanien versuchen?

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Alles wird gut!Habe heut Post vom Arbeitsamt von der Agentur für Arbeit aufgemacht: Broschüren mit Rechtsbelehrungen und Paragraphen; Zugang zu den „eServices“, was auch immer das sein mag; mit einem Termin zur persönlichen Beratung in einem „Jobcenter“, das derartig abgelegen ist, dass ich entweder ein Taxi nehmen muss oder mir ein Auto ausleihen. (Wer fährt mitten im Februar schon 15 Kilometer mit dem Fahrrad durch die Pampa?)

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