Summer of Two-Twelve

Der Donnerstagabend weicht der Nacht, es geht gegen elf Uhr. Die Grillen zirpen, und in der Feuerschale neben der Terrasse haben mittlerweile die glühenden Grillkohlereste ein paar Holzscheite entzündet. Der Bildschirm meines Netbooks leuchtet bläulich und zieht Insekten in großen Mengen an, die sich sogleich von meinen glitzernden Augen angezogen fühlen. Ich bräuchte jetzt wohl am besten eine Fensterglasbrille.

Gelächter von Tochter 1.0 und ihrer Freundinnen dringt aus dem oberen Stockwerk auf die Terrasse. Die Damen tragen noch immer meine abgelegten, viel zu weiten Herrenhemden, die sie sorgfältig unter Wahrung von Bauch- und Dekolleteefreiheit um ihre Oberkörper geknotet haben. Ich grinse angesichts des Umstandes, dass sie sich zum Anstreichen eines Mädchenzimmers aufgebrezelt haben, als sollte es zum Fotoshooting gehen. Nach dem Abendessen haben sie sich einige Kugeln Eis aus dem Gefrierschrank geholt, und der Tochter flutscht ein Schokoeisstückchen in den farbbesprenkelten Ausschnitt. Kreischendes Diskantgelächter aus Mädchenkehlen.

Von der nahe gelegenen Auffahrtsrampe zum örtlichen Gebirgsgipfel, die passender Weise auf den Namen Kanonenstraße getauft wurde, dringen noch immer röhrende Motorengeräusche maximal beschleunigender Motorräder herüber. Sie sind zwar zu weit weg um zu stören, aber ich kann mir gut den Adrenalinkick der Fahrer vorstellen, wenn sie bei Tempo 150 in den vierten Gang schalten. Über den Tag verteilt wurde das leise Rauschen des Verkehrs vielleicht vier oder fünfmal abrupt unterbrochen. Man konnte dann beinahe die Uhr danach stellen: Jedes Mal zwanzig Minuten nach der Unterbrechung fuhr ein einsamer Krankenwagen mit Martinshorn die Kanonenstraße hinauf, wahrscheinlich bis zur Applauskurve, in der sich ein weiterer Freizeit-Rennfahrer auf die Fresse gelegt haben musste. – Straßensperre für eine gute Stunde. Ob es heute wohl noch einen erwischt?

Hier im Wohngebiet sind die letzten Spaziergänger mit ihren Kinderwägen und Hunden längst durch. Es wird stiller. Aus dem Gebüsch im Garten dringt ungeduldiges Rascheln; wahrscheinlich schnorchelt sich ein Igel durch das  Gestrüpp. Ich warte auf meine Freunde, die kleinen Brüder der Kanonenstraßenbiker. Etwa um elf kommen sie zuverlässig jeden Abend vorbei, wenn es nicht regnet und einigermaßen warm ist: junge Burschen auf ihren (womöglich frisierten?) Mofas, ohne Helme, aber mit umgeklappten Versicherungskennzeichen, damit die Nachbarschaft keinen von ihnen identifizieren kann. Nach jeder Kurve werden die Gashähne aufgerissen, um ihren fahrbaren Nähmaschinen eine Maximum an Lärm zu entlocken. Zwei, drei Runden drehen die Jungs, dann haben sie genug und hoffen, wenigstens ein paar gebrüllte Beschimpfungen über Gartenzäune geerntet zu haben.

Ich lege noch zwei Holzscheite nach und hole mir ein letztes Weißbier aus dem Keller. Noch immer 25° im Freien. In der Küche stehen die Geschirrsilhouetten des Grillabends. Morgen früh werde ich mit Räuchergeruch im Haar aufwachen, mich unter die kalte Dusche quälen und weiter an meiner Gartenhütte basteln. Es sind ja Ferien.

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Just for the recocords: Der Hochsommer fiel im Jahr 2012 auf den 26. Juli.

Mutterkreuz

Wenn man es mir wieder wegnimmt, dann nimmt man es mir wieder weg. Also kein Kommentar.

(Sepp Blatter, Fifa-Präsident, zum Vorhaben, ihm das Bundesverdienstkreuz abzuerkennen)

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Man erkennt hier wieder einmal sehr gut, was es mit all diesen „Auszeichnungen“ auf sich hat. Die ursprüngliche Absicht, verdienten Menschen eine dringend notwendige formale Adelung zukommen zu lassen, ist ein hohles Unterfangen. So mancher Verdienter will das oder die Kreuze gar nicht haben, andere interessiert es nicht, wenn sie das Umhängsel wieder zurückgeben müssen. Ganz im Gegenteil: So mancher empfindet es erst als Adelung, den Großen Hosenbandzipfel in Violett empört zurückgewiesen oder stolz zurück gegeben zu haben.

Vanitas vanitatum. – Möwen sind Quatsch!

Wie Schuppen vor den Augen

Ich muss mich womöglich entschuldigen für meine sporadischen Äußerungen an dieser Stelle. Aber es ist halt so, dass dieses Jahr der Sommer ausgerechnet auf die laufende Kalenderwoche fällt. Und wie ich unlängst anmerkte, ruft mein Garten längst lautstark nach mir. Deshalb: viel Real Life, wenige Wortmischereien.

Wie Leonardo da Vinci

Morgen Vormittag werde ich den Dachgepäckträger auf den Fiat Panda schrauben und zum Materialeinkauf für die angezeigte Konstruktionszeichnung schreiten. Wenn ich schreibe „schreiten“, meine ich das natürlich figurativ, denn ich habe durchaus vor zu fahren. Sofern mich der Panda lässt. Er ist nämlich auch schon ein älterer Herr mit sehr eigenem Willen, den er sich auf seinen Wanderfahrten im sechsstelligen Kilometerbereich leider angewöhnt hat.
Aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Panda mitspielt. Denn die Temperaturen sind hoch, die Luft trocken und nach einer Bestückung mit dem Dachgepäckträger schnuppert der alte Herr stets Morgenluft: Es gilt, etwas zu erleben; Holzpfosten aufzuladen und nach Hause zu schippern, ein bisschen Farbe, Nägel und Schrauben im Kofferraum; es gibt immer was zu tun, packen wir es an, Herr Panda!

Dem Kenner ist sicher nicht entgangen, dass das da oben eine Konstruktionszeichnung für einen Gartenschuppen ist. Wenn alles gut geht, müssen Wortmischers Fahrräder in der kommenden Woche nicht mehr im herbstlichen Graupel umherstehen, sondern werden es – so kurz vor dem Wintereinbruch – trocken und gemütlich haben.

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Hatte ich eigentlich schon irgendwann einmal erwähnt, dass mein letzter Gartenschuppen unter der Schneelast des Januars 2011 zusammengebrochen war? So eine windige Hütte. Eine wahre Bruchbude. Kein Vergleich übrigens mit meinem aktuellen Projekt.

Freitagstexter: Pokalverleihung

Der Güldene Freitagstexterpokal

Hochverehrtes Publikum, meine liebe Freitagstexter, liebe Zufallsleser! – Seit dem vergangenen Freitag sind gar mannigfaltige Vorschläge als Bildunterschriften in den Kommentaren eingegangen. Vielen Dank für die rege Teilnahme und die anregenden Textvorschläge, Ihr habt mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.

Aber mit dem Freitagstexter ist es letztlich auch nicht anders als – sagen wir mal – mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis: Es hilft alle Lobhudelei nichts und auch kein Kritteln und kein Nörgeln; zum Schluss muss die Jury einen Preisträger küren, der Ehr und Lob nach Hause trägt und alle anderen Autoren mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen lässt, selbst wenn sie an der Waterkant wohnen. Und genau an diesem Punkt der Geschichte sind wir nun angelangt.

… Ringo, may I have a drum roll, please!

Später sollte Konrad Lorenz sich vehement gegen den Vorwurf wehren, dass er mit diesem Versuch zur frühkindlichen Prägung zu weit gegangen war.

„Später sollte Konrad Lorenz sich vehement gegen den Vorwurf wehren, dass er mit diesem Versuch zur frühkindlichen Prägung zu weit gegangen war.“

Nur wenige Tage nachdem Olga Martynova den Bachmann-Preis-2012 einsacken konnte, geht der Pokal der Freitagstexter heute an die Kaltmamsell Ich gratuliere von ganzem Herzen!

Zur Entscheidungsfindung möchte ich gerne noch eine Erklärung abgeben. Es war nämlich so, dass ich mich so gar nicht zwischen dem Konrad Lorenz der Kaltmamsell und dem Untertitel der Alten Säckin entscheiden konnte: „Als Bankerin mit ethischen Maßstäben musste Linda von Anfang an enormen Mut beweisen.“ – Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Säckin und Mamsell! (Darf ich an dieser Stelle einflechten, dass ich beide Pseudonyme ausgesprochen ansprechend finde?)

Ich möchte nicht verhehlen, dass ein wichtiger Faktor meiner Entscheidung pro Kaltmamsell ihr sagenhafter Avatar ist, der zu ihrem Text passt wie die Faust aufs Auge. Den müsste Ihr gesehen haben.

Auch deshalb treffen wir uns am Freitag (erstmalig?) auf der Vorspeisenplatte der Kaltmamsell. Habe die Ehre!

Zum FreitagsNexter

Selbstanzeige

Der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn; ich schlafe nachts so gut wie gar nicht mehr; morgens zittern meine Hände wie die eines Alkoholikers in den Mittfünfzigern, wenn ich den Kaffee aufsetzen will. – Kurz, ich kann nicht mehr. Ich muss mein Gewissen erleichtern, bevor mich ein Mitwisser an den Pranger stellt. Ich gestehe.

Schon im vergangenen Sommer plagten mich Gewissensbisse, als ich meine Gartenplanung in Angriff nahm. Drei Wochen im Juli und August hatte ich vorgesehen, um mit Kleinbagger, Schaufel und Schubkarre den Garten rund um das Haus einzuebnen, Wege anzulegen und künftige Rasenflächen mit Mutterboden aufzuschütten. Und vorwurfsvoll blickten mich die Augen der Töchter 1.0 und 3.0 an, wenn sie täglich gegen Mittag eigentlich ins Freibad aufbrechen wollten, wegen des anhaltenden Frühwinterwetters jedoch die Badetaschen wieder in die Zimmerecken stellen und statt dessen nach Schals in den Schränken suchen mussten. Sie wussten schon damals, dass nur einer die Schuld am Ausfall des Sommers 2011 trug: ihr Vater. Ich und meine Gartenbauambition waren die Ursache dafür, dass das Thermometer nur in Ausnahmefällen die 20°-Marke erreichten, dass es täglich in Strömen regnete und dass der Hochsommer zum Spätherbst verkam.

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Gestern Nachmittag um vier verließ ich das Büro auf dem Weg in den Sommerurlaub 2012. Drei Wochen arbeitsfrei, Wiederantritt nicht vor dem 6. August. – Give me five!

Aber fragen Sie besser nicht, was ich vorhabe. Denn es ist ja so, dass zwar der Boden rund ums Haus geebnet ist, die Wege begehbar sind und auf dem lehmigen Untergrund dreißig Zentimeter fruchtbarer Mutterboden lagern; jedoch statt Grashalmen, Büschen und Bäumchen nur Kraut wuchert. In den kommenden zwanzig Tagen heißt es, den Bewuchs zu trimmen, den Boden zu roden, zu glätten und mit Rasensaat zu versehen. Drei Wochen Gartenarbeit. Drei Wochen grimmige Kälte, Starkwind und Dauerregen.

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Es tut mir leid. Jetzt wissen Sie es. Ich bin der Schuldige an mittlerweile zwei grauenvollen Sommern in DUL. Vergessen Sie das ganze Gerede über den angeblichen Klimawandel. Alles Mist. Ich bin schuld. Sagen Sie es ruhig weiter. Es ist ja immer gut, wenn man einen Verantwortlichen zur Hand hat.

Aber ich verspreche: Nächstes Jahr mache ich keinen Finger krumm hier im Garten. Da bin ich weg. Weit. Und das Sommerwetter ist hier. Verlassen Sie sich drauf!

Und freitags: Text!

Freitagstexter

Ich freue mich schon arg, dass mich vor zwei Tagen die bisherige Inhaberin des netzweltweit bekannten Wanderpokals der Freitagstexter, Frau Hanne, zum Nachfolger gekürt hat. Herzlichen Dank dafür, dass ich mich erneut in die traditionsreiche Liste der Preisträger einreihen darf.

Aber wie das Pokale im Allgemeinen so an sich haben, reicht es auch bei diesem Exemplar nicht, den Pott in die Luft zu halten, sich von oben bis unten mit Schampus abspritzen zu lassen und hinterher den Rausch auf Omas Sofa auszuschlafen. Vielmehr verpflichtet man sich als Sieger, die nächste Runde auszurichten, ein Bildchen auszusuchen, das nach Untertiteln geradezu schreit, und dieses allen Teilnahmebrünftigen zur Kommentierung zugänglich zu machen.

Dieser Verantwortung komme ich hiermit pflichtschuldigst nach. Bitte sehr:

Amigos del Pollito
(Hier könnte Ihr Text stehen)

 
Jetzt seid Ihr an der Reihe: Bis zum Dienstag der kommenden Woche, Schlag Mitternacht, wartet das Kommentarfeld zu diesem Eintrag auf Eure Bildunterschriften. Am Mittwoch sichte ich alle Beiträge, suche mir unter allen teilnehmenden BloginhaberInnen den tollsten Kommentar aus und gebe den Wanderpokal schweren Herzens an den nächsten Preisträger weiter. Beschwerden und der Rechtsweg sind ausgeschlossen, außerdem ich bin Karateschwarzgurtträger und wiege neunzig Kilo, sag ich jetzt mal so.

Ich wünsche viel Inspiration und ein Maximum an Spaß, denn um diesen geht es.

Einsicht ist der erste …

Die Menschen wurden geschaffen, um geliebt zu werden. Die Dinge wurden geschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum die Welt im Chaos versinkt, besteht darin, dass die Dinge geliebt werden und die Menschen benutzt.

(Jonathan Moldú, argentinischer Schriftsteller)