Alt wie ein Stein

Ob ich nicht beim Christgeburtsspiel des Kollegiums mitmachen wolle, wurde ich gefragt. Da wären noch Rollen zu vergeben. Als ich ja sagte, war mir schon klar, dass ich nicht das Jesulein geben würde. Aber dass sie mir ausgerechnet einen der drei Hirten unterjubeln würden, damit hatte ich nicht gerechnet.
Diese Rolle bringt zweierlei mit sich: Zum Einen soll ich mir einen Vollbart stehen lassen. Das ist leicht und derzeit wohl auch rein hipstertechnisch total okay, wie ich mir von Tochter 3.0 habe sagen lassen.
Zum Anderen muss ich Text auswendig lernen. Viel Text. Seitenweise Text. Und das ist ja ab einem gewissen Alter nicht mehr so einfach. Deshalb hängen seit einiger Zeit an diversen Zimmertüren Papierseiten mit den vergrößerten Wortbeiträgen des Hirten Gallus. Ich bleib dann immer mal wieder vor einer Türe stehen und versuche, mir eines der Textfragmente einzuprägen. Das wiederhole ich dann den ganzen Tag lang, mal vor mich hinmurmelnd, mal laut deklamierend.
Wenn Sie also zum Beispiel im Supermarkt einem entrückt blickenden Herrn mit meliertem Vollbart begegnen, der alle Zeichen des Wahnsinns zeigt und Sie in spätmittelalterlichem Bayerisch anspricht, dann bleiben Sie ganz ruhig. Das bin dann bloß ich.

Bei mia Unschuidig’n, do gäht’s zua!
I hob weda Tog no Nocht an Ruah.
I tracht stäts zu meina Häad’n Schof,
bei mia is unbekonnt olla Schlof!

Wir werden sehen, ob ich das alles in mein Gehirn hinein bringe, oder ob sie mir ständig sufflieren werden müssen. Man darf nie vergessen, dass ich ja schon etwas älter bin. Ungefähr so alt wie ein Stein, lieber Peter M. Und irgendwann werde ich so alt sein wie eine Riesenschildkröte. Manchmal bewege ich heut schon wie eine. Besonders im Squash-Court.

Glauben Sie jetzt bitte nicht, dass ich ein Problem mit dem Altern hätte. Denn wenn es wirklich bergab geht, schließe ich mich einfach einer dieser Vereinigungen alter weißer Männer an, die es überall auf der Welt gibt. In Galizien hat es zum Beispiel eine Freimaurerloge, die bis heute historische Symbole aus dem achtzehnten Jahrhundert verwendet. Das finde ich toll, denn da finde ich mich dann sogar als nerdiger, ewig gestriger Android-Google-Gmail-Anhänger wieder. – Galizien, ich komme!

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(Quelle: La Voz de Galicia)

6 Kommentare

    1. Oh! Ein Kenner der Oberuferer Szene? Ich staune.

      (In diesem Fall haben es Stichl und Witok doch leichter, da sie ihre Rollen schon seit Jahren spielen. Während bei mir Unschuldigem, da geht’s zu!)

  1. Wie war das nun mit den Krippenspiel? Erfolgreich hinter Dich gebracht? Badest Du noch im Applaus und ordnest die Telefonnummern der Groupies? Oder war es ein fantastisches Fiasko?

    1. Ach, von beidem etwas. Wie eigentlich immer im echten Leben:
      Habe jetzt harte Fanclubs in den Klassen 4 bis 7, vor allem unter den coolen Jungs. Die aus 1 bis 3 hätten Angst vor meinem Dialekt, hieß es.
      (Außerdem hab ich mich in der Glatteisszene der dritten Vorstellung auf meinen Hirtenstab gelegt & mir ’ne Rippe geprellt, so ’ne S¢h€!$$€, echt.)

      Aber die zehn Seiten Text kann ich jetzt im Schlaf dahersagen:
      „Do bring i Dia, o Jesulein, a weng Woi.
      Dass Di Dei Muadda fei dreileng soi.“

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