Gestaltung: Es geht auch anders

Bücher sehen immer gleich aus. Selbst wenn sie gebunden und nicht verklebt sind. Außen ein Schutzumschlag, der bis vor zwei oder drei Jahren stets hochglänzend beschichtet sein musste und neuerdings eher matt ist. Darunter ein einfarbiger Buchdeckel aus Karton, der in der Regel den Buchtitel auf dem Rücken zeigt und ansonsten nichts. Selten, sehr selten werden Bücher aufwändig gestaltet. Frau Kaltmamsell hat letzthin eines dieser besonderen Bücher aufgetan: Schlaraffenland, ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen und die Unwägbarkeiten der Liebe von Stevan Paul.

Ich habe jetzt auch so ein besonderes, sonderbares Buch entdeckt: Indigo von Clemens J. Setz, aus dem ich letzthin bereits eine Passage zitiert hatte.

Indigo

Auch darüber, dass der Roman in Hinblick auf sein Druckbild anders gestaltet ist als das Gros der Belletristik, schrieb ich bereits. Was für das Layout der Geschichte gilt, zeigt sich schon am Cover des Romans. Auf einen Schutzumschlag verzichtet der Verlag. Der Bucheinband besteht aus einem melierten, grauen Hintergrund, der in seiner Struktur und Farbe an Filz erinnert. In hartem Kontrast zu diesem Hintergrund steht die weiße, serifenlose Prägeschrift, mit der Titel, Autor und Verlag auf die Vorderseite sowie drei knappe Kritiken auf die Rückseite gestempelt sind. Der klaren, schnörkellosen Schriftgestaltung steht eine Hochglanzfotografie zur Seite, die eine rätselhafte Szenerie zeigt; einen farblosen Männertorso, der von bunten Schmetterlingen umflattert und beklettert wird, die offenbar aus einer strahlenden Lichtquelle auf ihn herabsegeln. – Das Buch kann man endlos ansehen und zwischen den Händen drehen und wenden.

Ich wundere mich, dass Buchverlage diese einzigartige Chance, ihre Papierprodukte von den elektronischen E-Book-Varianten abzusetzen, nicht häufiger nutzen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass sich dadurch noch ganz andere Käuferschichten ansprechen ließen. Ob der Suhrkamp Verlag mit Indigo eine Vorreiterrolle in diese Richtung übernimmt?

Papierlos lesen (3)

Amazon und sein Kindle nerven wie Sau und ich weiß nicht mehr, wo man als Interessierter an E-Books einsteigen sollte, um sich ein eigenes Bild zu machen. Eine Alternative könnte womöglich skoobe.de sein. Die Namenswahl des Dienstes ist nicht unwitzig, man lese das Kunstwort „Skoobe“ einfach mal rückwärts. Und das Prinzip ist auch recht interessant: Man kauft keine E-Books sondern mietet sie, sozusagen. Gegen eine monatliche Flatrate von knapp zehn Euro kann man sich zwei elektronische Bücher im EPUB-Format „ausleihen“; es gibt kein festgelegtes Rückgabedatum. Bis zu fünf Bücher kann man auf iPhone, iPad, oder Android-Devices ablegen und lesen – online oder offline, zu Hause oder im Urlaub. Wer Neues will, muss zunächst alte gemietete Bücher zurückgeben. Im Gegensatz zum Buch aus der Onleihe können beliebig viele Leser die aktuellen Werke ausleihen und auch beliebig lange lesen. Eben bis zum selbst gewählten Rückgabezeitpunkt.

Wer genauer wissen will, wie das funktioniert, der lese gerade mal bei Paper’C nach. Skoobe ist offenbar ein Literaturvermarktungsprojekt, das von den Verlagsgruppen Holtzbrinck und Random House ins Leben gerufen wurde und an dem mittlerweile 70 Verlage mit teils sehr aktuellen Titeln teilnehmen. Aus dem verlinkten Artikel bei Paper’C geht jedoch hervor, dass die Abdeckung der Bestsellerlisten derzeit noch ziemlich rudimentär ist.

Für Vielleser ist Skoobe womöglich eine preiswerte Ergänzung: Sie können alle verfügbaren Titel ohne Wartezeiten lesen und bezahlen dafür nicht mehr als zehn Euro pro Monat, einen relativ niedrigen Preis im Vergleich zu den Kosten, die durch Kauf im Buchhandel entstehen würden. Dabei können sie auch zwischen verschiedenen Lesegeräten wechseln und jeweils an den aktuellen Stellen weiterlesen; also morgens und nachmittags auf dem Smartphone in der U-Bahn, abends auf dem Tablet auffem Sofa; oder am Strand.

Aber auch hier gilt natürlich das stets gleiche DRM-Lied: Die Bücher gehören dem Mieter nicht und können deshalb nicht weitergegeben oder abgespeichert werden. – Und Gelegenheitsleser legen bei dem Modell natürlich drauf. Wer die zwei Bücher pro Monat nicht nutzt, zahlt Monat für Monat zehn Euronen für nichts und wieder nichts. Is‘ halt wie Muckibude für Bewegungsfaule.

Trotzdem interessant für Euch?

Wintermaulwürfe

Im Wortmischergarten gibt es allerlei Viechzeugs: Katzen, Igel, Schnecken, Ameisen; im Herbst schon auch mal Wildschweine. Maulwürfe hat es aber bisher keine. Wenn es aber welche gäbe, dann wären ihre Haufen derzeit bedeckt mit Herbstlaub und Schneezucker.

Maulwurfwinter

Sohn 2.0 hat sich des Faunamangels angenommen und einen solchen Maulwurfshügel nachgekocht. Also eher nachgebacken, meine ich, in diesem Falle. Einen Maulwurfkuchen. Mit Herbstlaub und Zuckerschnee. Der Natur da draußen abgeschaut.

Der Sohn ist ein bisserl aus der Art geschlagen, der Apfel fällt in kulinarischer Hinsicht eher weit vom Stamm. Nicht dass ich selbst nicht kochen könnte oder wollte. Aber Kuchen backen liegt mir eher fern. Deshalb freu ich mich ja auch so über Wortmischer juniors Faible oder Neigung. Einziger Wermutstropfen im aktuellen Fall ist die Tatsache, dass der Maulwurfkuchen nicht für den familiären Verzehr gedacht war. Vielmehr handelt es sich hier (siehe oben) um ein Geburtstagsgeschenk an des Sohnes Freundin. – Schade. Sehr Schade.

Aber vielleicht ergibt sich ja noch eine Verkostungsgelegenheit. Eventuell im Frühjahr? Einen Maiglöckchen-Maulwurfkuchen? Den hätt ich auf jeden Fall lieber als einen echten Maulwurf im Garten.

Buchdruck im 21. Jahrhundert

Wir schwadronieren ja gerne darüber, wie lange es wohl noch dauern mag, bis das gedruckte Buch vom elektronischen E-Book endgültig abgelöst werden wird. Einen interessanten Beitrag zu dieser Diskussion liefert der Roman Indigo von Clemens Setz. Der Autor gibt seinem Text nämlich eine zusätzliche Dimension mit auf den Weg, die aktuelle E-Book-Reader nicht ohne Weiteres abbilden können. Clemens wählt nämlich abhängig von der Erzählsituation unterschiedliche Schriftlayouts. Der Roman beginnt mit einem Inhaltsverzeichnis (Kapitelübersicht), die in Handschrift abgedruckt ist. Es folgt ein Brief an den Protagonisten, der in Schreibmaschinenschrift gesetzt ist. Danach entwickelt sich Handlung in einer handelsüblichen Serifenschrift, die im Großen und Ganzen wohl über neunzig Prozent des Buches ausmacht. Auf Seite 80 des Werks stößt der Leser jedoch plötzlich auf einen zweiseitigen Einschub aus einem historischen Text, der in Frakturschrift gesetz ist.

Indigo: Die Jüttnerin von Bonndorf

„Das Kindlein wurde in der Folge das Kometen-Kind genannt und wuchs bei fürsorglichen Nonnen in einem gesonderten Bezirk auf. Merke: Es ist ein Glück, daß man in manchen Fällen nicht zuerst nach dem Priester, sondern nach dem Arzte schicken lässt. So ist die Stadt Bonndorf im Jahre des Kometen 1811 vor einer Ankunft des Leibhaftigen bewahrt worden.“

(Clemens J. Setz, Indigo, Suhrkamp, 2012)

~

Einmal abgesehen davon, dass ein Großteil der Leserschaft weder mit der unleserlichen Handschrift des Inhaltsverzeichnisses noch mit Frakturschrift zurecht kommen wird, muss man wohl einräumen, dass der Roman auf den derzeit angebotenen E-Readern entweder nicht darstellbar ist oder eben gegenüber der gedruckten Ausgabe stark reduziert würde, wenn die Gestaltung durch verschiedene Schriftarten einfach unterschlagen wird. (Auf Kommentare von Passanten, die Indigo als E-Book gelesen haben, wäre ich ernsthaft gespannt, um nicht zu sagen: neugierig.)

Papierlos lesen (2)

Auf meiner Suche nach erfüllenden E-Book-Erlebnissen hatte ich mich ja bereits wegen diktatorischer Nutzungsbedingungen und -möglichkeiten gegen Amazons Kindle ausgesprochen. Nun berichtete Blogger Martin Bekkelund über eine merkwürdige Begebenheit, derzufolge eine seiner Bekannten aller bei Amazon gekauften E-Books verlustig gegangen sei, weil der Online-Riese Regelverstöße auf ihrer Seite ausgemacht haben wollte. Sie habe viel Geld investiert, um amazonische Bücher lesen zu können, die ihr dann jedoch allesamt gelöscht worden seien.

Inzwischen ist der Fall in der Presse, und die Betroffene wurde offenbar dank des Druckes der Öffentlichkeit rehabilitiert. Für mich ist dieser Vorfall ein Grund mehr, mich nicht weiter mit dem Kindle zu befassen: Wenn ich einmal für ein Buch oder E-Book Geld ausgegeben habe, würde ich es schon ganz gerne behalten, auch dann wenn mir meine Buchhandlung – aus welchen Gründen auch immer – Hausverbot erteilt. Amazons Digital Rights Management und das nicht standardisierte Dateiformat aber machen es unmöglich, gekaufte E-Books zur Sicherheit zu kopieren, ohne dass man sich dabei strafbar macht.

Kann ja wohl nicht sein. Oder?

(via @Elfengleich)

Gelocht und abgeheftet

Ich mag die N. aus der Personalabteilung der Fabrik wirklich gern leiden. Sie ist eine sympathische und empathische Gesprächspartnerin, und nicht zuletzt deshalb schaute ich letzthin nach dem Mittagessen wieder einmal bei ihr auf einen kurzen Plausch vorbei. Als ich das Großraumbüro betrat, war die N. mit Ablage beschäftigt. Auf ihrem Schreibtisch lag ein säuberlich aufgetürmter Papierstapel von gut fünf Zentimetern Höhe, von dem sie ein Blatt nach dem anderen abnahm und es lochte. Danach zog sie aus einer langen Schrankreihe einen Aktenordner, klappte den Metallbügel auf, fädelte das eben gelochte Einzelblatt auf die beiden Dornen, klappte Bügel und Ordner wieder zu und schob ihn wieder zurück zwischen die Nachbarordner im Schrank.

„Was wird das denn?“, fragte ich stirnrunzelnd. „Sieht irgendwie nach Sisyphus aus. Habt Ihr keine Praktikanten mehr?“

„Das sind die letzten Gehaltsabrechnungen der Fabrik.“ Die N. wirkte ungewohnt genervt. „448 Angestellte, 448 Monatsabrechnungen, 448 Leitz-Ordner. Das mache ich jeden Monat kurz nach dem Fünfzehnten, Herr W. Definitiv meine Lieblingsbeschäftigung!“ Die N. zuckte die Schultern und griff nach Locher und dem nächsten Blatt Papier.

Sagenhaft! Das war ja genau das, was man unter dem Begriff elektronische Datenverarbeitung versteht. – „Ich dachte, die Gehaltsabrechnung ist im SAP-System gespeichert?“, warf ich verblüfft ein.

„Ja, schon“, räumte die N. ein. „Aber jeder Gehaltszettel wird zweimal ausgedruckt. Ein Ausdruck geht an den Mitarbeiter, der andere wird hier in den Ordnern archiviert. Das haben wir schon immer so gemacht.“

~

Ich wagte es nicht, die N. an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, dass ich meine Gehaltszettel, die mir stets zur Monatsmitte sauber gefaltet in verschlossenen und abgestempelten Umschlägen zugingen, sogleich auf den Scanner legte, um sie im PDF-Format auf dem Arbeitsplatzrechner abzulegen und das Papier sogleich zu vernichten. Ich hätte befürchten müssen, dass die N. einen Nervenzusammenbruch erlitten hätte.

Nochmals zum Mitdenken: Die Gehaltsabrechnungen werden von einem EDV-System Monat für Monat automatisch erstellt. Wäre es nicht konsequent und folgerichtig, die Übersichten in PDF-Dateien zu überführen und allen Mitarbeitern ebenso automatisch meinetwegen per E-Mail zuzusenden? Oder vielleicht auf einem Dateiserver abzuspeichern und nur einen Link auf die Datei zu verschicken?

Statt dessen fällen wir Monat für Monat einen Baum, drucken das alles in zweifacher Ausfertigung aus, falten Kuverts, tüten Zettel ein, verteilen sie über die Sekretariate an alle Angestellten und legen zu allem Überfluss auch noch Kopien in Ordnern ab, die alle paar Jahre in Umzugskartons verpackt werden müssen, um dann auf nimmer Wiedersehen in verspinnwebten Lagerhallen gestapelt zu werden. – Unsere Fabrik, das Systemhaus, ein Musterbeispiel an Effizienz und Modernität!

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Traurig – nein: ärgerlich – ist die Tatsache, dass diese Geschichte keine Erfindung meines überhitzten Geistes ist, sondern leider harte Realität. Ich befürchte, ich muss mir einen neuen Arbeitgeber suchen. Das ist doch absurd.

Der Scheißbaum

Bestechende Theorie über den unregelmäßigen Wuchs von Bäumen, deren Zweige sich ja eigentlich nur schlicht verzweigen, aber letzlich doch in einer unendlich komplizierten Verrenkung erstarren, die einen Baum ausmacht. Derlei verquere Gedanken pflanzt der Buchpreis-Shortlister 2012 Clemens Setz einer seiner Hauptfiguren, einer „septischen Sau“ einem „Dingo“ einem Idingo-Kind, ins Hirn:

„… Ein Baum wollte ja immer alles umarmen. er steht seit hundert Jahren auf demselben Fleck und wird jeden Tag übermannt von seiner Zuneigung zu ein paar Enten im Teich, einem verschlungenen Pärchen auf der Parkbank, einem lustigen, bunt überquellenden Mülleimer oder einer geheimnisvoll gebogenen Parklaterne. Wenn eines der Wesen oder Dinge seine Aufmerksamkeit erregt und der Wunsch, es zu umarmen, überhandnimmt, beginnt der Baum – langsam natürlich, fürchterlich langsam -, in die entsprechende Richtung zu wachsen und seine Zweige wie Arme danach auszustrecken. […] Und der Baum ist, von seinen minimalen täglichen, stündliche Richtungsänderungen in seinem Wachstum über die Jahre hinweg, zu einem bizarr verzerrten Gebilde geworden. Scheißbaum.“

(Clemens J. Setz, Indigo, Suhrkamp, 2012)