Das Schicksal spielt mit

Playing chess with himself, and looking on at the game

„Schau, was er macht, der Trottel“, flüstert mir der Joker ins Ohr; ganz so, als ob es nötig wäre zu verhindern, dass die beiden vor uns am Tisch auf uns aufmerksam würden. Dabei können die uns doch gar nicht hören, weil es uns beide gar nicht geben kann. Weder den Joker noch mich. Zumindest nicht in diesem Kontext.

Es ist nämlich so, dass dort am Tisch in diesem merkwürdig antiquiert eingerichteten Raum zwei Herren sitzen, beide in militärischen Uniformen, einer in Grau, der andere in Blau. Den einen, den in der grauen Uniform, den würde jede(r) von Ihnen sofort wiedererkennen. Er trägt eine merkwürdige Föhnfrisur in orange-gelber Färbung und heißt Donald. Also nicht Duck, aber immerhin Donald.
Den anderen in der blauen Uniform würden Sie wahrscheinlich nicht erkennen. Das bin nämlich ich. Interessanter Weise bin ich in der Lage, mir selbst dabei zuzusehen, wie ich mit Donald Schach spiele. Und neben mir steht dieser verrückte Kerl mit einer mehrzipfligen Mütze auf dem Kopf, an deren Enden kleine Messingschellen angenäht sind. Der Joker eben. Natürlich nehmen weder Donald noch ich Notiz von uns beiden. Sie können uns weder sehen noch hören; aber das hab ich ja schon geschrieben.

„Schau, was er macht, der Trottel“, raunt mir also der Joker zu. Mit Trottel meint er mich, also mein anderes ich, das in der Uniform. Mein uniformiertes Ich hat sich nämlich von seinem Stuhl erhoben, ist ans Fenster getreten und kehrt Donald den Rücken zu.
Der nutzt natürlich die Gunst der Stunde und rückt seinen ungedeckten Springer, den ich im nächsten Zug wahrscheinlich geschlagen hätte um ein Feld zur Seite.
„Bei Donald musst Du immer mit dem Schlimmsten rechnen“, murmelt der Joker. „Dem fehlt jedes Unrechtsbewusstsein. Wenn er ein Problem hat, sorgt er dafür, dass sein Problem so schnell wie möglich das eines anderen wird.“
„So eine Arschgeige“, gebe ich zurück, beuge mich vor ans Spielbrett und rücke Donalds Springer wieder auf das ursprüngliche Feld zurück.

Es dauert einen Moment, bis Donald auffällt, dass sein Betrugsversuch rückgängig gemacht wurde. Erschrocken blickt er sich um, bemerkt, dass mein anderes Ich noch immer mit dem Rücken zu ihm am Fenster steht, und schubst den Springer erneut um ein Feld nach rechts.
Der Joker kichert. Er weiß, was jetzt kommt. Mit seinen nicht vorhandenen, durchsichtigen Händen bedeckt er Donalds Augen, so dass ich unbemerkt die Springermanipulation zum zweiten Mal korrigieren kann.
Jetzt treten Schweißperlen auf Donalds Stirn. Unstet wandert sein Blick zwischen Schachbrett und dem Rücken meines anderen Ichs hin und her. Er versucht es ein weiteres Mal …

Insgesamt sieben Male muss ich Donalds Springer von unterschiedlichen Feldern wieder auf seine Ausgangsposition zurück setzen, bevor der Kerl die Nerven verliert.
„Scheißspiel!“, brüllt er, springt auf und reißt dabei den Tisch mit dem Schachbrett um.
Erschrocken dreht sich mein anderes Ich um und betrachtet die über den Teppich rollenden Schachfiguren.
„Du Fake-Arsch!“, raunzt Donald sein Gegenüber an, „wolltest mich wohl über den Tisch ziehen. Aber ich lass mich nicht über den Tisch ziehen. Doch nicht von einem bloody german!“

„Siehst Du?“ Diesmal bin ich es, der sich an den Joker wendet. „Siehst Du, das hat er nicht auf der Rolle. Dass es ein Schicksal gibt, das er nicht austricksen kann, und das dafür sorgt, dass er nicht mit allen seinen Schurkereien durchkommt.
„Abwarten“, gibt der Joker zurück, der bereits ein paar Sekunden weiter gedacht hat. Und tatsächlich hat er recht, denn plötzlich zieht Donald einen Revolver unter seinem Rock hervor, richtet den Lauf auf mein anderes Ich und drückt ohne zu zögern den Abzug durch.

Der Schlagbolzen der Waffe jedoch erzeugt nur ein klickendes Geräusch. – „Wie gut, dass ich vorhin die Patronen aus der Trommel genommen habe“, flüstert der Joker und zeigt mir die sechs Messingzylinder in seiner Hand.
Doch in diesem Augenblick dreht Donald komplett durch. Er stößt einen gurgelnden Laut aus, wirft den Revolver auf mein anderes Ich und greift nach einem Degen, der zu Dekozwecken an einer der Wände im Raum angebracht ist. Mit einem irren Schrei stürzt er sich auf mich. Also auf mein anderes Ich, das eben noch nach hinten taumelnd dem Revolver ausweicht.
Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es, mein anderes Ich zur Seite zu stoßen, so dass Donald mit dem vorausgereckten Degen an ihm vorbeirauscht, ohne es zu verletzen.

Im allerletzten Sekundenbruchteil packt der Joker den Stiefelabsatz meines anderen Ichs und hebt das Bein ein paar Zentimeter nach oben. Donald stolpert über meinen Stiefel, gerät darüber aus dem Gleichgewicht und bricht durch das splitternde Fensterglas nach draußen. Sein gellender Schrei wird leiser, versiegt schließlich, als Donald in den unendlich tiefen Abgrund jenseits des Fensterrahmens stürzt.

„Puh, was für ein Irrer.“ Das sind die ersten Worte, die ich mein anderes Ich sagen höre, und zugleich auch die letzten, bevor ich … also es durch eine Türe hinaus auf die Veranda tritt, wo es von einer riesigen Menschenmenge im monströsen Aufschrei willkommen geheißen wird.
Der Joker und ich stehen Seite an Seite an der Verandschwelle und blicken auf den Aufmarsch Zehntausender hinaus, die weit unten vor der Veranda toben wie im gemeinschaftlichen Crackrausch. Vor uns mein anderes Ich, und neben ihm so ein dürrer Kerl in schwarzem Frack und einem rot-weiß geringelten Zylinder auf dem Kopf. Abraham Lincoln!

Lincoln reißt meinem anderen Ich den Arm nach oben wie der Ringrichter einem siegreichen Preisboxer. Das chorische Brüllen der Massen schwillt noch einmal bedrohlich an, und dann kreischt es Lincoln mit sich überschlagender Stimme hinaus ins gleißende Licht:

„Habemus papam!“

~

(Foto von 1887, via Vintage Everyday)

Oh Tannenbaum!

Paris, Weihnachten1961

Egon kommt. Also nicht so, wie Sie jetzt wieder denken. Denn Egon ist weder Papst noch Pornodarsteller sondern ein vom Wetterdienst angepriesener Wintersturm. Und so bläst Egon also hier um die Ecke und rüttelt an den Rollläden. Auf fünf Uhr hab ich mir den Wecker gestellt, um nachzusehen, ob Egon womöglich auch ein bisserl Schnee mitgebracht hat. Aber als ich mit kleinen Augen nach draußen lure, ist da nichts Weißes zu sehen. Nasser Asphalt, schwankende Baumwipfel, sonst nichts. Es bleibt mir also erspart, mich als Vertretung unseres Hausmeisters an meinen Arbeitsplatz zu begeben, um dort mit der Kehrschaufel für verkehrsfähige Wege zu sorgen. Gott sei Dank, ich kann mich nochmal für knapp zwei Stunden aufs Ohr legen.

Unten vor dem Haus sehe ich den Nachbarn aus dem Dritten mit seinem Weihnachtsbaum über den Hof gehen. Er schleppt den Baum in die Ecke, in der schon fünf oder sechs andere Nadelgerippe liegen. Bevor die alle komplett eintrocknen und die Nadeln verlieren, sollte die mal jemand rüber zum Opel-Zoo bringen, wo sich die Elefanten über die Delikatesse freuen. Also geh ich rasch nach unten, hab ja noch ein bisschen Zeit. Als ich mit der Gartenschere die Tannenzweige von den Stämmen knipse, bermerke ich, dass ich noch im Schlafanzug bin und nur ein Paar ausgetretene Crocs an den Füßen trage.

Aber kalt ist mir gar nicht bei der Arbeit mit den Tannenbäumen, die allesamt gar keine Tannen sind sondern Fichten. Fichtennadeln pieksen. Aber die Elefanten werden sich sicher trotzdem freuen, denke ich. Und schon bin ich auch fertig mit dem Entasten. Ich lege die nackten Stämme auf den Anhänger und decke sie mit den Zweigen ab. Aber als ich den Hänger an meinen Wagen andocken will, stelle ich fest, dass das nicht mein Auto ist, das dort auf meinem Stellplatz steht. Und dass das Ding auch gar keine Anhängerkupplung hat. So ein Mist!
Also zerre ich den Hänger hinter mir her bis zur Straße, wo sogleich eine freundliche Autofahrerin anhält und fragt, ob sie mir helfen könne. Gut schaut die aus, denk ich im Stillen und wundere mich überhaupt nicht, warum die Frau hinterm Steuer nur weinrote Unterwäsche trägt.

Ja, antworte ich, gerne! Und schon habe ich den Hänger an ihrem Auto befestigt und setze mich neben der Wäschedame in ihren Wagen. Ich brauche gar nichts zu sagen, sie weiß auch so, dass das Geäst zum Opel-Zoo soll. Klar, die Elefanten freuen sich, das weiß auch meine schöne Begleiterin. Als wir am Zoo ankommen, muss ich das Vorhängeschloss aufbrechen, weil es noch mitten in der Nacht ist und niemand auf unser Klingeln reagiert hat. Aber das macht nichts. Wir finden unseren Weg zum Elefantengehege auch ohne Hilfe.

Dort stehen wir dann, werfen den begeistert trompetenden Tieren Nadelgehölz zu. Trotz der Winterkälte geraten wir dabei ins Schwitzen und entledigen uns der wenigen Kleidungsstücke, die wir tragen. Dann nehmen wir uns gegenseitig in die Arme, und natürlich kommt es, wie es kommen muss …

~

Kann mir mal jemand sagen, was man in zwei Stunden für einen kompletten Schmarrn träumen kann, bevor einen der Wecker mit einem Ton, der einem Elefantenrüssel zu entströmen scheint, zum zweiten Mal in der gleichen Nacht aus dem Schlaf reißt und man feststellen muss, dass Egon da draußen inzwischen doch eine ganze Menge Schnee verteilt hat?

Einer nach dem anderen

Dass ich in diesem Jahr einen rechten Lauf in Bezug auf Todesfälle hatte, erwähnte ich bereits. Und jetzt kommt noch einer dazu, nämlich einer aus der Riege der frühen deutschsprachigen Blogger: Doc Buelle ist gestorben, in dessen Blog Passe.par.tout ich bestimmt seit zehn Jahren mitgelesen habe und über dessen Eigenarten meine ehemalige Urlaubsvertretung Charlotte etwas geschrieben hat.

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R. I. P.

Alles eine Frage der richtigen Zange

Münchens Mitzi hat eine Ode auf ihren Handwerker-Papa gesungen, die mir so gut gefallen hat, dass ich ihr sogleich die Überschrift klauen musste für meine eigene Geschichte, die mir zum gleichen Thema eingefallen ist. Erst wollte ich diese Begebenheit noch als Kommentar bei Mitzi unterbringen, aber dann wurde mir der Text doch zu lang, als dass ich ihn in das kleine Textfeld hineinpfriemeln wollte.

Es ist nämlich so, dass ich nicht nur einen hausmeisterlich begabten Papa hatte sondern gleich zwei. Jedenfalls seinerzeit. Als ich noch mit der Schmerzdame zusammenlebte. Da stand nämlich neben meinem eigenen Vater auch noch mein Schwiegervater auf der Matte; beide von der Natur mit jeweils drei Armen und zwei rechten Händen bedacht, mit denen sie alles hinbekamen, was in einem Haushalt an Reparaturen, Anschlüssen, Provisorien und Installationen überhaupt anfallen kann. Also natürlich auch so Kleinigkeiten wie die irsajsche Heizkörper-Thermostat-Stift-Problematik. Alles eben, woran sich Sohn oder Schwiegersohn nicht recht herantraute.

Normalerweise trafen die beiden handwerkenden Väter ja nicht zeitgleich im Blaumann in unserem Domizil aufeinander. Doch ergab sich ein einziges Mal eine Ausnahme. Nämlich als die Schmerzdame und ich samt Tochter 1.0 von Barcelona nach München umzogen. Da halfen sie beide bei der Montage einer Einbauküche, die wir in einem nicht ganz unbekannten schwedischen Möbelhaus eingekauft hatten.
Schnell standen und hingen Ober- und Unterschränke in der neuen Küche, und wir machten uns an die Detailarbeiten. Schwieger- und leiblicher Vater waren sich sofort einig, wer von ihnen welche Arbeit übernehmen sollte.
„Ich schließ lieber den Herd an“, merkte mein Papa an. „Mit Wasser hab ich’s nicht so.“
„Prima!“, konterte der Schwieger, „ich hab eher Respekt vor Starkstrom. Ich kümmere mich um den Wasserhahn.“
Also werkte ein jeder vor sich hin, und schließlich war der Schwieger fertig mit der neuen Mischbatterie. Dachte er jedenfalls. Aber irgendwie hatte er Kalt- und Heißwasser so mit dem Hahn verbunden, dass es nicht nur heiß in Drehrichtung blau und kalt in Drehrichtung rot lief, sondern auch noch der Wasserstrom hälftig in sich geteilt war: rechts war der Strahl heiß, links kalt. Fragt mich nicht, wie er das angestellt hatte. Mein eigener Vater jedenfalls konnte sich ein leicht hämisches Grinsen nicht verkneifen.

Doch sein Überlegenheitsgefühl hielt gerade mal 24 Stunden an. Zunächst waren wir nämlich alle total begeistert von unserer neuen Cerankochplatte. Es gab damals eine technische Neuerung, die sich „Turbo-Ceran“ nannte, oder so. Das waren Kochfelder, die sehr schnell sehr heiß wurden. Viel schneller jedenfalls als die bis dahin bekannten, normalen Ceranfelder. Wir hatten gar nicht gewusst, dass unser Herd einer dieser Turbos war.
„Wahnsinn!“, kommentierte die damalige Herzdame. Sie konnte die Finger gar nicht von den Drehknöpfen nehmen. Zwanghaft ließ sie eine Platte nach der anderen immer wieder turbo-erglühen.
Nach einem Tag Turbokochen war es allerdings vorbei mit der schnellen Hitze. Eines der Felder blieb schwarz. Und kalt. Da konnten wir noch so oft am Knöpfchen drehen. Es stellte sich heraus, dass die Herdplatte keineswegs ein Turbo-Ceran war. Vielmehr hatte mein Papa die Platten falsch angeschlossen, so dass das erste Kochfeld bereits nach einem Tag durchgebrannt war.

Nun war es der Schwiegervater, dem ein feines Lächeln um die Lippen spielte, als ihm diese Geschichte zu Ohren kam. Und so kam es, dass beide Väter nun quitt waren und fortan die besten Kameraden, was ja nicht unbedingt vorausgesetzt werden darf unter verschwiegerten Menschen.

Was ich sagen wollte: Passen Sie auf, wenn Sie in München leben und sich einen preisgünstigen Hobby-Handwerker aus den Kleinanzeigen der Zeitung heraussuchen. Nicht dass Sie dabei womöglich an meinen Vater oder meinen Schwiegervater geraten!

Freitagstexter: Pokalverleihung

Freitagstexter-Pokal

Ihr seid wunderbar! – Zwölf Textvorschläge für meinen Katzeneintopf. Und einer hat sich sogar die Mühe gemacht, die schwarzen Viecher auf dem Bild zu zählen. Ist gar nicht so einfach. Allerdings bin ich auf eine Katze mehr gekommen als der werte Nachbarkoch in seiner Küche, nämlich auf zwölf. Aber aufs korrekte Abzählen kam es ja gar nicht an. War nicht gefordert. Text war gefordert. Und den habt Ihr geliefert. Und zwar dergestalt üppig, dass wir uns kaum entscheiden konnten.
Nach heftigem Hauen & Stechen zwischen den Jurymitgliedern haben es zuletzt drei Untertitel aufs Treppchen geschafft: Der Bronzepott geht an das bee für „Dr. Eleanor Abernathy hatte sich dieses Jahr mit dem Adventskalender etwas mehr Mühe gegeben“, obwohl ich als TV-Asket erst nachsehen musste, wer überhaupt diese Frau Abernathy ist.
Die Silberschale bekommt Frau Rosenherz für ihren sagenhaft teuren Berufsausbildungsvorschlag zum Katzenassistenten.

Um Katzenhaaresbreite vorn auf Platz eins lag nur noch Herr Boomerang.

Freitags: Katzeneintopf

„Weihnachtsfeier, Sie kennen das ja. Adalbert kam am Sonntag nur sehr schwer aus den Federn. Dass er einen Kater hatte, wäre schwer untertrieben“

Passend zu seinem Motto „Alles kommt zurück“ fliegt der Pokal also heute weiter zum Boomerang, der bis übermorgen in seinem Schuhkarton mit den Fotos wühlen darf, um uns ein schickes Bildchen für die Freitagstexterrunde zum vierten Advent auszusuchen.

Zum nächsten Freitagstexter!

Freitags: Katzeneintopf

Die Feder ist mächtiger als das Pferd.

Es ist schon so lange her, dass ich zuletzt den Freitagstexter ausgerichtet habe, dass ich beinahe vergessen hätte, wie das geht. Nun hat aber der Herr Houdini im fernen Thailand beschlossen, mir den Pokal zuzuwerfen – vielen Dank, lieber Kollege! -, und so steht nun hier & heute die nächste Runde des Assoziationswettbewerbs an.

Die Weltbevölkerung teilt sich bekanntlich in Hunde- und Katzenfreunde. Aber weil Bloggern das Klischee anhaftet, ein besonders ausgeprägtes Faible für Katzen zu haben, gibt es heute ein ausgesprochen klischeehaftes Freitagstexterbild. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass auch Hundefreunden ein paar Worte zu diesem Foto einfallen werden.

Freitags: Katzeneintopf
Hier könnte Ihre Bildunterschrift stehen

Haut in die Tasten, Leute! Einen derartig schönen Pokal bekommt Ihr nicht alle Tage nachgeworfen. In der Nacht nach dem kommenden Dienstag such ich mir einen schicken Kommentar aus und reiche den Goldtopf an den Verursacher weiter.
Wer die Regeln zum Freitagstexter nicht kennt, kann sie nachlesen. Aber wer wissen will, woher das Foto da oben stammt, dem kann ich leider nicht helfen. (Wie immer habe ich ein Bildchen ausgewählt, das mir ein wohlmeinender Mitmensch per E-Mail zugeschickt hat.)

Und jetzt: locker machen und Text raushauen!

Herr Albert unterhält sich

I am vegan

Türklingel: Dingelingeling! – (Herr Albert öffnet.)

Mann auf dem Treppenabsatz: Guten Tag, ich bin …

Herr Albert: … Veganer!

M: Was?

A: Sie sind Veganer!

M: Wie bitte? Nein, nein!

A: Tja, so seid Ihr eben, Ihr Veganer. Den ganzen Tag lang: Ja, ich bin Veganer, ja, ich esse kein Fleisch, ja, ich esse keinen Fisch, ja, die Tiere leiden und ja, der Käse auch.

M: Aber woher nehmen Sie denn das alles?

A: Sie essen kein Fleisch.

M: Was reden Sie da?

A: Weil Sie Veganer sind.

M: Ich bin kein Veganer.

A: Aber nein, natürlich nicht. Man sieht es Ihnen doch an. Sie sind blass. Sie sehen geschwächt aus. Sie leiden an Eisenmagel. Sie röcheln ja mehr, als sie atmen! Möchten Sie ein Stück Brot? Ist Brot vegan? Müssen Sie sich das eigentlich immer zertifizieren lassen, bevor Sie etwas essen?

M: Hören Sie mal, nein!

A: Nein, was? Dass Sie kein Veganer sind? Oder dass Sie sich das nicht zertifizieren lassen müssen?

M (schreit): Ich bin kein Veganer!

A: Ach, sieh an. Der Veganer wird wütend. Was wollen Sie denn bitte machen? Schlagen Sie mich etwa gleich? Ach, wie nett. Die Tiere behandelt Ihr sehr gut, aber Ihr zögert keine Sekunde, Menschen Schaden zuzufügen. Genau das ist das Problem mit Euch Veganern: Ihr habt die falschen Empathien. Wenn Sie sich zwischen Ihrer Mutter und einer Forelle entscheiden müssten, Sie würden die Forelle wählen.

M: Jetzt reden Sie doch keinen Unsinn …

A: Wenn Gott nicht gewollt hätte, dass wir Forellen essen, dann hätte er sie nicht so lecker gemacht. Andererseits, Ihre Mutter, die schmeckt sicher nicht so toll. Na gut, ich habe sie noch nicht probiert. Bei allem gebotenem Respekt.

M: Ganz ehrlich: Ich esse einfach alles.

A: Natürlich. Alles, was nicht von Tieren stammt. Kein Fleisch, keine Eier, Milch je nachdem. Also das mit der Milch ist merkwürdig. Trinkt Ihr sie nur, wenn die Kuh sie Euch freiwillig anbietet? So in der Art „he, ich hab hier etwas übrig, falls Ihr etwas abhaben wollt“? Ist das so? Oder wie funktioniert das?

M: Ich weiß es nicht, Ich bin kein Veganer.

A: Nein?

M: Nein.

A: Ach so, entschuldigen Sie bitte. Ich dachte, Sie wären Veganer.

M: Nein, das bin ich nicht. Und ich versuche schon eine ganze Weile, Ihnen das zu klar zu machen.

A: Aber was sind Sie dann? Vegetarier? Ovo-Lacto-Vegetarier? Flexitarier?

M: Was reden Sie denn da, ich bin gar nichts davon!

A: Ich meine, weil Sie doch kein Fleisch essen.

M: Natürlich esse ich Fleisch.

A: Pilze sind kein Fleisch!

M: Ich esse Schnitzel!

A: Na klar, aus Tofu.

M: Nein!

A: Oder vegetarische Wurst, die nach Vogelfutter schmeckt.

M: Ich habe noch nie vegetarische Wurst gegessen!

A: Dann eben vegane Hamburger. Die sind wie aus Corn Flakes.

M: Nein!

A: Die schmecken nach gar nichts.

M: Ich weiß es nicht! Ich habe sie nie probiert!

A: Ihr seid schon komisch, Ihr Veganer. Dabei sind Garnelen sooo lecker!

M: Ich liebe Garnelen.

A: Aber Sie essen sie nicht. Weil Sie Veganer sind.

M (brüllt): Ich bin kein Veganer!

A: Keine Garnelen zu essen, sollte unter Strafe stehen. Und nicht nur Garnelen. Auch Langusten. Herzmuscheln. Salami. Schweinefüße. Und Rinderlende. Bauchspeck. – Na ja, klar, was Sie essen und was ausgelassenem Bauchspeck noch am ähnlichsten ist, sind Erdnussflips mit Grillgeschmack.

M: Ich esse keine Erdnussflips!

A: Auch nicht? Weil sie die mit tierischen Fetten herstellen, oder so?

M: Ich bin kein Veganer! Ich bin wegen etwas ganz anderem hier!

A: Ja ja, Ihr nutzt halt jede Gelegenheit, über Eure Sache zu schwätzen. Ihr geht einem ganz schön auf den Geist damit. Man sagt „Hallo“ zu einem Veganer, und er antwortet „Ich bin Veganer“, ohne einen auch nur zu begrüßen. Lassen Sie mich doch in Ruhe! Das ist mir doch völlig egal! So egal, wie wenn Sie Ihre eigenen Fingernägel knabbern würden.

M: Ich glaube, ich komme lieber ein andermal wieder …

A: Nein, nein. Jetzt wo Sie schon einmal da sind, machen Sie bitte auch Nägel mit Köpfen. Erzählen Sie mir, was Sie essen. Erklären Sie mir, wie sehr die Hühner leiden, wenn man ihnen ein Ei stiehlt.

M: Wegen keines dieser Dinge bin ich gekommen …

A: Na ja, dann ist es eben wegen irgend einer anderen Tier-Sache, nicht wahr? Was ist es, Kleidung, oder was? Woraus ist Ihr Pullover? Ganz sicher nicht aus Wolle. Weil Ihr es ja vorzieht, wenn Schafe in ihrem Pelz verglühen, bevor man ihnen auch nur ein einziges Wolllöckchen abschneidet. Dazu muss man schon irgendwie manisch sein, oder? Schneiden Sie sich nie die Haare? Dann schneiden Sie sie doch bitte auch dem Schaf, das fühlt sich sicher auch viel besser danach. – Also, aus welchem Material ist Ihr Pullover?

M: Was?

A: Woraus Dein Pullover ist, verdammter Veganer!

M: Aber wovon reden Sie denn da?

A: Woraus ist dieser Pullover?

M: Jetzt lassen Sie doch meinen Pullover in Ruhe. Finger weg!

A: Aus Plastik?

M: Nein.

A: Aus toten Blättern?

M: Nein!

A: Aus Menschenhaar?

M: Aber nein! Das ist ein ganz normaler Pullover!

A: Vielleicht aus der Haut von Kleinkindern?

M: Er ist aus Baumwolle, verdammt! Und vielleicht ist auch noch ein bisschen Polyester drin, was weiß denn ich.

A: Tztztz … Veganer, Veganer, es ist Dir also egal, ob sie eine Pflanze rasieren. Aber das Schaf, das soll sich selbst ficken, oder?

M: Ach, hören Sie doch auf. Was Sie da reden, ist doch völlig sinnlos.

A: Veganer!

M: Jetzt hören Sie bitte mal …

A: Veganer!

M: Hören Sie jetzt bitte sofort auf damit.

A: Ve-ga-ner!

M: Aufhören, hab ich gesagt!

A: Du bist ein Veganer!

M: Lassen Sie sofort diesen Quatsch!

A: Du isst kein Fleisch!

M: Verdammt nochmal! …

A: Hahaha! Ihr esst komische Sachen!

M (schreit): Ich hab Ihnen gesagt, dass ich kein Veganer bin!

A: Was für ein armseliges Würstchen: Erzählt der ganzen Welt, dass er Veganer ist.

M: Ich erzähle niemandem gar nichts!

A: Ja ja, jetzt tut er auch noch so, als ob. Aber ich hab Euch alle längst durchschaut. Man sieht es Euch nämlich an der Zunge an. Und Ihr riecht nach Rucola!

M: Ich rieche nicht nach Rucola.

A: Aber sicher, guter Mann. Das ist so ein Geruch wie nach feuchtem Korken.

M: Ich rieche nach Shampoo. Ich habe mich doch gerade geduscht.

A: Veganes Shampoo. Dieses Zeugs, das aus Gelatine von toten Menschen hergestellt wird. Aber natürlich ohne einem Tier zu schaden! Ich habe das ein einziges Mal ausprobiert. Das schäumt nicht mal ordentlich. Und es macht die Haut runzlig. Meine Haut hingegen ist ein wahres Wunder. Hier, fass doch mal an. Na los doch. Sie ist weich wie ein Kinderpopo.

M: Nein, das mach ich lieber nicht.

A: Nun mach schon. Stell Dich nicht so an.

M: Ich habe nein gesagt.

A: Anfassen, sag ich.

M: Nein, ich fasse Sie nicht an!

A: Meine Güte, was stellt Ihr Euch an, Ihr bescheuerten Veganer …

M: Ich bin kein Veganer, hab ich gesagt!

A: Wie bitte? Was hast Du gesagt?

M: Dass ich kein Veganer bin. Ich komme in einer anderen Angelegenheit.

A: Du bist kein Veganer?

M: Nein!

A: Im Ernst?

M: Sag ich doch schon die ganze Zeit!

A: Isst Du Fleisch?

M: Ja!

A: Und Fisch?

M: Ja.

A: Und Milch auch?

M: Aber ja doch!

A: Eier etwa auch?

M: Ja, Eier auch.

A: Bist Du sicher, dass Du kein Veganer bist?

M: Absolut.

A: Nicht mal ein ganz kleines bisschen?

M: Nein, nein, nein, verdammt! Was soll ich denn noch sagen!

A: Ist ja gut, jetzt reg Dich nicht auf. Hättest ja mal was sagen können.

M: Aber ich sag es doch seit dem Moment, in dem ich hierher gekommen bin.

A: Ich bin ja schließlich kein Hellseher. Woher hätte ich es denn wissen sollen.

M: Ja, ja, ist ja schon gut …

A: Ich meine, wenn Du keinen Ton sagst …

M: Oh, Mann.

A: Ich kann schließlich keine Gedanken lesen.

M: Boah! …

A: Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich Fleisch esse. Dadurch kann ich nicht mehr richtig denken. Diese ganzen tierischen Fette verstopfen mir die Arterien, die das Blut zum Hirn leiten. – Aber Dir passiert das ja sicher nicht, Veganer.

M: Ich bin kein …

A: Bei Dir ist sicher alles ganz locker, die Arterien und auch alles andere, was keine Arterien sind. Wahrscheinlich gehst Du mindestens sieben Mal aufs Klo jeden Tag.

M: Jetzt ist es aber mal gut!

A: Nein, das kann nicht gut sein. Den ganzen Tag über Durchfall.

M: Was reden Sie bloß …

A: Aber wahrscheinlich isst Du jede Menge Reis. Das ist doch ein probates Gegenmittel?

M: Ich weiß es nicht. Ich bin kein Veganer!

A: Echt? Aber was bist Du dann? – Leidest Du an Zöliakie? Bist Du intolerant gegen Laktose? Schmeckt Dir außer Lachs kein Fisch? Bist Du Anti-Alkoholiker? Isst Du bloß organische Lebensmittel? Keinen raffinierten Zucker? Nichts mit Maisstärke drin? Kaufst Du keine Lebensmittel, die Inhaltsstoffe enthalten, die mit dem Buchstaben F beginnen? Kochst Du nur mit Zutaten, die Du selbst angebaut, aufgezogen oder mit den eigenen Händen getötet hast?

M: Nein!

A: Dann bist Du also doch Veganer.

M: Herrgottsack, ich bin kein Veganer! Ich komme vom Gas.

A: Vom Gas? Bist Du ätherisch? Isst Du etwa nichts, was Schatten wirft?

M: Von den Gaswerken!

A: Gaswerke? Wer kann mit Gas werken? Wenn man das doch gar nicht anfassen kann?

M: Von der Firma, die Ihnen das Gas liefert! Ich soll den Gaszähler ablesen!

A: Den Zähler?

M: Den Gaszähler.

A: Den Gaszähler?

M: Ja, Ihren beschissenen Gaszähler!

A: Das ergibt keinen Sinn. Wie kannst Du Gas zählen, wenn es doch Gas ist? Was in aller Welt zählt ein Gaszähler? Zeigt er „eins“ an? „Ein“ Gas?

M: Den Gasverbrauch. Die Menge an Gas, die in dieser Wohnung verbraucht wurde. Verbraucht, verbrannt, konsumiert!

A: Na, hör mal! Ich konsumiere doch kein Gas. Ich würde ja sterben. – Oder warte: Meinst Du Sauerstoff? Sauerstoff ist doch ein Gas, oder? Das solltest Du doch wohl wissen, Ihr Veganer seid doch immer so gut informiert.

M: Ja, Sauerstoff ist ein Gas.

A: Na, siehst Du. Das muss ich schon anerkennen. Wenn man wissen will, ob Sauerstoff ein Gas ist, fragt man am besten einen Veganer. Der weiß das mit Sicherheit.

M: Ich bin kein Veganer.

A: Was seid Ihr schlau, Ihr Veganer.

M: Aber ich bin kein Veganer!

A: Du weißt eine ganze Menge über Gase. Ich meine dafür, dass Du kein Veganer bist.

M: Verdammt, ich rede von Gas, das man zum Kochen verwendet.

A: Eieiei, ich jedenfalls koche mit Feuer. Ich dreh an diesen Rädchen, und schon kommt eine kleine blaue Flamme aus der Düse heraus. Na ja, aber Du bist ja Veganer und ernährst Dich nur von Bananen. Du kannst ja gar nicht wissen, wie das funktioniert. Ich bereite mir hier Dinge wie Hühnchen zu. Hühnchen gegrillt, oder Würstchen.

M: Ich rede von dem Gas, mit dem man auch Wasser erhitzt.

A: So ein Blödsinn. Das heiße Wasser kommt aus dem Hahn mit dem roten Punkt. Da kommt kein Gas raus. Das geht rein mechanisch. Duscht Ihr eigentlich nicht mit heißem Wasser? Woher kommt eigentlich das heiße Wasser? Verbrennt man zum Erhitzen etwa Hähne bei lebendigem Leibe? Ist es deswegen? Das hab ich nicht gewusst. – Merkwürdig, aber mir sind meine Duschbäder wichtiger als das Wohlergehen von Hähnen. Hühner übertragen Krankheiten, zum Beispiel die Vogelgrippe. Aber das ist Euch Veganern ja völlig egal. Euch ist es ja lieber, wenn wir alle sterden. An der Vogelgrippe. Oder durch Erfrieren.

M: So hören Sie doch: Ich bin kein Veganer.

A: Veganer! Du duschst also nicht?

M: Darf ich jetzt bitte endlich Ihren Gaszähler sehen?

A: Du isst das Essen von meinem Essen!

M: Jetzt hören Sie doch endlich auf.

A: Dir ist es also egal, wenn die Kühe, die ich esse, Hunger leiden? Schließlich isst Du ihnen das Futter weg. Ja oder nein? Ist es so?

M: Ich bin kein Veganer!

A: Ach, die Schnitzel, die auf meinem Teller landen, sind jeden Tag ein wenig trauriger. Lass Dich bloß nicht von einer Kuh erwischen. Die haut Dir glatt eine rein, wegen Diebstahls.

M: Ich esse kein Gras!

A: Tatsächlich? Ich finde, Du solltest einmal das Transitivgesetz bedenken. Wenn Du eine Kuh isst, dann isst Du auch das Gras, das sie gefressen hat. In gewisser Weise ist ein Schnitzel also auch nichts anderes als Gemüse.

M: Hören Sie mir jetzt bitte einmal zu?

A: Nein. Nein, ich werde nicht aufhören, Fleisch zu essen. Nimm es mir nicht übel, ich respektiere ja die Entscheidungen aller anderen. Mir egal, wenn Du nur Salz schlecken willst. Aber wenn es irgendwo ein anständiges Kotlett gibt, dann lasst mich mit diesen Kräutersäckchen für Salat in Ruhe, die es im Supermarkt gibt. Die können gar nicht gesund sein.

M: Ich sage Ihnen doch: Ich esse normal!

A: Mannomann, Veganer zu sein, kann nicht normal sein.

M: Ich bin kein Veganer!

A: In der Steinzeit haben sie einfach alles gegessen. Und die waren durch die Bank total gesund!

M: Bitte lassen Sie mich doch einfach meine Arbeit machen.

A: Die hatten kein Karies. Hab ich letzthin erst gelesen. Es gab auch weniger Krebserkrankungen und Kurzsichtigkeit. Vielleicht hat Dich damals ein Mammut totgetreten, aber bis zu diesem Moment war Dein Leben besser als heute. Jeden Tag Nilpferdsteak!

M: Ich werfe nur einen kurzen Blick auf den Zähler. Keine zehn Sekunden brauch ich dafür.

A: Die sind damals nicht wegen jedem Schiss in die Apotheke gerannt. Kein Vitamin-B12-Komplex. – Mammuts! Nilpferde! Saurier! – Was es eben so gab.

M: Ich sag Ihnen doch: Ich esse alles!

A: Ja. Außer Fleisch, Milch, Eier, Schokolade mit Ei drin …

M: Aber ich esse Schokolade. Sehen Sie nur, ich hab hier ein Twix in der Hosentasche.

A: Das Wichtigste ist der Respekt. Ich respektiere alles. Aber wenn mir meine Religion verbieten würde, Schokolade zu essen, da würde ich es vorziehen in der Hölle zu landen.

M: Der Veganismus ist keine Religion.

A: Wie jetzt? Schließlich endet der Begriff auf „ismus“!

M: Ich bezweifle sogar, dass das Wort „Veganismus“ im Duden steht.

A: Na ja, Du musst es ja wissen, als Veganer.

M: Ich bin kein Veganer.

A: Nimm es mir nicht übel, aber dafür, dass Du kein Veganer bist, verbringst Du jetzt schon eine ganze Menge Zeit damit, Dich mit mir über das Thema zu unterhalten. Immer das Gleiche mit Euch Veganern: Ständig redet Ihr über das, was Ihr esst und was Ihr nicht esst. Mir ist das doch egal! Macht doch, was Ihr wollt! Aber lasst doch bitte mal die tibetanische Gebetsmühle!

M: Ich bin keine tibetanische Gebetsmühle!

A: Veganer! Hahaha! Lass mich doch in Frieden!

M: Aber Sie sind es doch, der nicht die Klappe hält!

A: Nein, nein, nein. Immer die gleiche Entschuldigung. Als ob wir anderen Euch Fragen stellen würden. Und noch dazu bekloppte Fragen. – Nein. Du bist hier aufgetaucht und dauernd geht es nur um das Eine: Ob Ihr Schokolade esst, ob das eine Religion ist. Mir ist das doch völig schnurz! Erklär mir nicht Dein Leben. Ich weiß ja noch nicht mal, was Du eigentlich willst!

M: Ich bin kein Veganer! Ich komme wegen dem Gas!

A: Nanana, komm mir nicht schon wieder damit. Wir stammen alle vom Affen ab. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Lass mich mit Deinem Blödsinn in Ruhe. Es ist eine Tatsache, dass mein Urgroßvater noch ein Affe war. In meiner Familie sind wir alle ziemlich langsam. Wir gehen eben alles mit größtmöglicher Ruhe an.
Siehst Du die Flurlampe? Die Glühbirne ist seit Februar durchgebrannt, und ich hab mich daran gewöhnt. Ich vergesse jedes Mal, die Birne auf meine Einkaufsliste zu setzen. Aber eigentlich ist das gar nicht schlecht. Ich leide nämlich unter Fotophobie. Zu viel Licht macht mir Angst. Aber ich wollte Dir eigentlich gerade von meinem Urgroßvater erzählen …

M: Hören Sie, ich schwöre, dass ich aus keinem anderen Grund hier bin, als um nach dem Gaszähler zu sehen.

A: Mein Urgroßvater war längst verheiratete und so. Und wenn ich mich recht erinnere, war meine Urgroßmutter schwanger. Allerdings nicht von meinem Uropa. Sondern von ihrer älteren Schwester, meiner Urgroßtante Rosamunde, sie möge in Frieden ruhen. Sie lebte in Frankfurt, glaube ich. Wo wir sie in den Neunzigern begraben haben. Meine Güte, was die damals rumgeschrien hat …

M: Bitte! Ich muss noch alle Zähler in der ganzen Straße ablesen!

A: „Lasst mich raus!“, hat sie gebrüllt, „ich bin noch nicht tot!“ – „Tante Rosamunde“, haben wir geantwortet, „hör auf, gegen den Sargdeckel zu schlagen, Du erschreckst die Kinder.“ – „Aber ich bin nicht tot!“, kam da zurück.
Was das für ein Dickschädel war. Wenn die sich mal auf etwas versteift hatte, dann gab sie sich nicht geschlagen. Sie hielt erst die Klappe, als wir sie eingeäschert hatten.

M (unter Tränen): Ich kann auch an einem anderen Tag wiederkommen.

A: Auf jeden Fall sagte meine Urgroßmutter zu meinem Urgroßvater: „Schau, Herrmann, ich glaube, der Moment ist gekommen, dass auch Du Dich weiter entwickelst. Wir erwarten einen Sohn, oder (Gott möge es verhindern) eine Tochter, und ich denke, es wäre besser, wenn sein Vater, also Du, der zukünftige Urgroßvater von Albert, auch wenn der noch nichts davon wissen kann, ein wahrer Mann wäre und kein Affe …

M: Ich lasse Ihnen einen Zettel da mit einer Telefonnummer. Dann können Sie den Zähler selbst ablesen und im Gaswerk anrufen.

A: Aber mein Urgroßvater wollte nicht. Er war ein echtes Unikat. Er arbeitete damals im Postamt. Warst Du letzthin mal auf der Post? Die haben echt Fortschritte gemacht in den letzte Jahren. Jetzt sind sie mindestens schon im Jahr 1968: Sie verteilen Nummernzettelchen in der Warteschlange und verkaufen Dir Briefmarken. Aber zu Zeiten meines Urgroßvaters war es nicht unüblich, dass dort Affen arbeiteten.

M: Da ist wirklich eine tolle Geschichte, aber ehrlich gesagt, ich habe keine Zeit mehr.

A: Mit seinem Schwiegervater hat er sich ja nicht besonders gut vertragen. Der Vater meiner Uroma war ein wenig rassistisch und sah es nicht gern, dass sich seine Tochter mit einem Affen verheiratete. Auch wenn die Tatsache seiner Festanstellung im Postamt doch einiges Prestige mit sich brachte. Es gab immer wieder Streit bei den Abendessen der Familie.

M: Bitte. Ich bitte Sie … Ich muss den Autobus erwischen!

A: Trotz allem, mein Urgroßvater wusste, er durfte nicht zurückbleiben. Ja, die Zeiten haben sich geändert und heutzutage können auch Affen gehen, wohin sie wollen. Vorausgesetzt sie tragen Hosen. Aber in der Epoche meines Urgroßvaters war die Gesellschaft noch strikter, die Leute hatten einen engeren Blickwinkel, wahrscheinlich weil ihre Augen näher beieinander standen. Wahrscheinlich gab es deshalb früher mehr Verkehrsunfälle. Aber ich weiche vom Thema ab.

M: Gnade! Bitte lassen Sie mich gehen.

A: Jedenfalls folgte mein Urgroßvater den Wünschen seiner Frau und entwickelte sich weiter. In einer einzigen Nacht. Das war eine Nacht, sag ich Dir. Um vier Uhr morgens erfand mein Urgroßvater das Rad. Er wusste ja nicht, dass es längst erfunden war. Und außerdem hatte sein Rad die Form eines Achtecks. Die werden heute noch verwendet an den Autos, die die Post für dringende Lieferungen einsetzt.

M: Wo wir gerade von dringend sprechen. Ich habe es wirklich sehr eilig.

A: Doch obwohl er sich weiter entwickelte, blieb mein Urgroßvater Allesfresser. So wie alle guten Menschenwesen. Nicht wie Du, Veganer, der nichts isst, was eine Mutter hat. Dir schmeckt Fleisch nicht. Und auch kein Fisch. Du isst nur Wurzeln und Knollen. Das ist gegen die Natur. Die Evolution ist gegen Dich. Mit Deinem Veganismus beleidigst Du meinen Urgroßvater.

M: Aber ich bin kein Veganer, ich schwöre es beim Andenken meiner Mutter.

A: Du bist kein Veganer?

M: Nein, ich bin kein Veganer.

A: Ehrlich?

M: Ehrlich.

A: Wenn ich also jetzt eine Mettwurstsemmel hole, würdest Du sie essen?

M: Ich mag keine Mettwurst.

A: Siehst Du? Du bist Veganer.

M: Aber nein. Mir schmeckt jede Art von Wurst außer Mettwurst.

A: Warte mal. Kann es sein, dass Du Veganer bist ohne es zu wissen? Das heißt, vielleicht lebst Du nach einer veganen Diät und hast nur bis zu diesem Moment nicht gemerkt, dass Du keine tierischen Produkte isst?

M: Nein, so ist es nicht. Ehrlich.

A: Es gibt Menschen mit einer Gehirnlähmung, die ihre linke Körperhälfte nicht sehen. Die kämmen ihre linke Kopfseite nicht, zum Beispiel. Und sie ziehen sich auch nur einen Schuh an. Den rechten. Oder den linken, je nachdem, um welche Gehirnlähmung es sich handelt. Und sie schneiden sich auch nicht die Fingernägel beider Hände. Kann es sein, dass es Dir ähnlich geht? Nur mit Fleisch? Dass Du derartig vegan bist, dass Du nicht einmal ahnst, dass es Tierprodukte gibt?

M: Ich schwöre Ihnen, dass mein einziger Defekt darin besteht, dass ich keine Mettwurst mag.

A: Na gut, das wäre eine alternative Hypothese. Aber ganz überzeugt bin ich nicht.

M: Wenn Sie mir eine Scheibe Schinken bringen, esse ich sie vor Ihren Augen auf!

A: Soweit kommt es noch. Na klar, er ist Veganer aber nicht blöd. Vielleicht noch ein bisschen Kaviar? Einen Hummer vielleicht? Grüße aus der Küche mit Gäseleberpastete? Ein halbes Dutzend Austern? Fasan oder etwas Schwalbennestersuppe?

M: Ja? Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, damit Sie mir den Gaszähler zeigen. Oder mich gehen lassen. Darf ich gehen?

A: Ja, jetzt tut es Dir leid, dass Du Dich aus dem Fenster gelehnt hast. Hab Dich also erwischt. Mir entgeht kein einziger Veganer. Ich seh es an der Zunge. Ihr geht langsam, könnt kaum atmen, müsst alle paar Minuten anhalten, um zu Atem zu kommen. Ihr habt keine Kraft, da ist kein Leben in Euch. Kleinwüchsig seid Ihr. Natürlich, Euch fehlt ja das Eisen.

M: Ich bin aber größer als Sie.

A: Das liegt nur daran, dass wir in meiner Familie immer alles bis zum Schluss aufheben. Das hab ich Dir doch erklärt. Ich wachse schon noch, wenn ich die Zeit dazu habe.

M: Ich weiß gar nicht, warum ich mit Ihnen herumdiskutiere. Ich bin kein Veganer.

A: Das ist so ein Sektending, oder?

M: Wie bitte?

A: Das heißt, es gibt da so eine Gruppe von Veganern, Deine Leute, meine ich. Was weiß denn ich. Die essen keine Pilze, weil das in Wirklichkeit gar keine Pflanzen sind. Ihr habt Euch einen anderen Namen gegeben. Pilzler, vielleicht? Oder Champignonisten?

M: Nein, was für ein Quatsch!

A: Extrem-Veganer.

M: Nein!

A: Pilzler.

M: Nein und nochmals nein!

A: Also gut. Wie nennt Ihr Euch?

M: Wir nennen uns überhaupt nicht irgendwie! Ich bin kein Veganer und Punkt!

A: Also gut. belassen wir es dabei. Aber bevor Du gehst, erlaube mir noch einen letzten Kommentar. Ich meine das keinesfalls persönlich. Schließlich muss jeder wissen, was er tut. Aber Ihr Veganer denkt ja immer, Ihr seid etwas Besseres als alle anderen, weil Ihr kein Milchlamm esst. Allerdings war ja auch Adolf Hitler Vegetarier. Oder war der vielleicht sogar Veganer? Noch so ein Extrem-Veganer …
… Was machst Du da? Lass mich los! Nimm sofort Deine Hände von meinem Hals! Es gibt überhaupt keinen Grund … Argh! …

~

tl;dr Ernährst Du Dich (nicht) vegan? Dann solltest Du darauf verzichten, mit Herrn Albert ins Gespräch zu kommen.

(Wer tatsächlich bis hier unten durchgehalten hat, der bekommt von mir das Bloggerverdienstkreuz in Silber für außergewöhnliche Leidensfähigkeit verliehen. Herzlichen Glückwunsch!)