Und Jesus fuhr Ford

Monterrey, Mexiko: An der Straßenkreuzung Adolfo Ruiz Cortinez und Simón Bolívar geschah in den frühen Nachmittagsstunden des vergangenen Sonntags ein Wunder. Pepe „El Cojo“ Zapatero, ein junger Mann, der seit frühester Kindheit an einer Muskellähmung an beiden Beinen litt, ging an der verkehrsreichen Kreuzung seinem Broterwerb durch Betteln nach. Als Pepe die Straße überquerte, um sich auf der Schattenseite zu platzieren, ereignete sich die Wunderheilung: Ein sonnengelber Ford passierte den Behinderten, und auf einmal!, all of a sudden!!, de repente!!! fuhren Pepe ungekannte Kräfte in seine geschundenen Extremitäten. – Der Lahme konnte wieder laufen!

Wunderheilung in Monterrey

Bitte unterstützen Sie unseren Antrag an den Heiligen Stuhl auf Kanonisation des gelben Ford.

(via Josetxu)

Weltmeisterliche Schachspielereien

Die Schach-WM ist vorbei. Neuer Weltmeister ist und bleibt der alte; der Inder Viswanathan Anand setzte sich am Mittwoch im Tie-Break etwas glücklich – wie er selbst einräumte – gegen seinen Herausforderer, den Wahlisraeli Boris Gelfand durch.

V.l.n.r.: Anand, Zerberus, Gelfand

Mehr Text als eine solch knappe Meldung wird wohl nur in wenigen Medien zu finden sein. Wer Details in Wort und Bild sucht, wird nur auf der Website der Veranstalter fündig.

Die geringe Öffentlichkeitswirksamkeit eines Sportereignisses ersten Ranges offenbart das Hauptproblem der Königsdisziplin des Denksports: Das wirkliche Duell fand nicht am Schachbrett in der Moskauer Tretjakow-Galerie statt, sondern während der Vorbereitung der beiden Spieler mit ihren Teams. In den Hotelzimmern wurden Wahrscheinlichkeiten abgewogen, Spielverläufe vorausgedacht und Abweichungen diskutiert. Die Qualität dieser Vorbereitungen konnten die Beobachter dann an den Spieltagen würdigen; wer richtig lag mit seinen Einschätzungen, der war nicht unbedingt erfolgreicher, aber er sparte Zeit am Brett.

Insofern geht der Sieg Anands durchaus in Ordnung. Mehrfach geriet sein Gegner Gelfand in langes Grübeln, brauchte zu viel Zeit für seine Züge. Der gespannte Zuschauer konnte die Dramen von Vorbereitungsfehlern an Mimik und Gestik der Kontrahenden ablesen: Gelfands Gesichtsmuskeln begannen zu zucken, er zwinkerte, als wollte er die gegnerische Dame anflirten, dann raufte er sein Haupthaar. Anand war äußerlich ruhiger, doch der oft unstet umher wandernde Blick verriet auch seine Nervosität.

Auf dem Spielbrett kam nur selten echte Spannung auf, zehn der zwölf regulären Partien endeten mit frühen Remisangeboten der Spieler. Ist ja auch klar: Wenn der eine weiß, dass der andere alle wichtigen Varianten bereits im Voraus durchgespielt hat, dann ist es sinnlos, über den zwanzigsten oder fünfundzwanzigsten Zug hinaus weiter zu spielen. Oder?

Durchgehend spannend wurde es erst am letzten Spieltag, als vier Schnellschach-Partien am Stück gespielt wurden. In der zweiten Partie des Tie-Breaks gelang es Anand, Gelfand im 77. Zug bei fast leerem Brett zur Aufgabe zu zwingen: Dem schwarzen König und einem seiner Türme standen zuletzt Anands weißer König mit Turm und ein einziger weißer Bauer gegenüber.

Das war die Entscheidung nach drei Siegen und 13 Remisen.

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Ich kann verstehen, dass sich die Schach-WM keiner besonderen Beliebtheit in der Öffentlichkeit und den Medien erfreut. Wer will schon dabei zusehen, wie sich die Spitze eines Eisberges wenige Zentimeter bewegt und nur unsichtbar unter der Wasseroberfläche die Schollen bersten. Um daran Gefallen zu finden, muss man ziemlich meditativ veranlagt sein.

Besessene können ja dank Internet neuerdings in aller Ruhe dem Schach-Livestream des Weltschachverbandes folgen, während im TV vielleicht gerade die Euro-Song-Contester durch den Windkanal toben.

Steingarten mit Taraxacum

Für meine Leser, die womöglich einen weniger grünen Daumen haben als ich, muss ich eben mal das Ergebnis langjähriger Ansiedelungs- und Kreuzungsversuche in meinem Garten veröffentlichen.

Löwenzahnmutant

Ich finde, mein Steingarten vor den Kellerfenstern kommt erst richtig zur Geltung, seit sich dort an der Felskrone dieser majestätische, fast schon einen halben Meter hohe Taraxacum officinale angesiedelt hat.

Es ist eben stets eine Freude, wenn das Grün unter den emsigen Händen des kundigen Pflanzenfreundes zu gedeihen beginnt.

Herr Sarrazin

Über Herrn Sarrazin zu schreiben, wollte ich mir unbedingt verkneifen: Weil ich ihn und sein Gehabe ablehne. Weil ich seine überhebliche Art, sich selbst zu inszenieren, aus tiefstem Herzen verabscheue. – Kein Podium für Thilo Sarrazin beim Wortmischer!

DIE ZEIT ist aber schlauer als ich. Sie veröffentlicht ein Interview mit Herrn S. und gibt ihn darin gründlich der Lächerlichkeit preis. Beachten Sie bitte unbedingt die Schlussfrage der Interviewer:

ZEIT: Herr Sarrazin, wenn die nächste griechische Regierung Sie fragen würde, ob Sie unentgeltlich Wirtschaftsberater werden wollen: Würden Sie das machen?
Sarrazin:
Ich käme vielleicht in Versuchung, wenn ich erstens klare Zuständigkeiten und Kompetenzen hätte, zweitens mir einige deutsche Beamte meines Vertrauens aussuchen könnte und drittens jeder dieser Beamten sowie auch ich einen nicht korrupten griechischen Dolmetscher beigestellt bekämen.

Punkt und Ende. Sarrazinsche Selbstdemontage erledigt. – Glückwunsch, liebe ZEIT!

Martenstein ist zurück

Den Kolumnisten Harald Martenstein habe ich über Jahre hinweg vor allem wegen seiner wöchentlichen Halbseite im ZEIT-Magazin sehr verehrt. Dann begann eine Art thematische Krise, die ich mal seine „Hundejahre“ nennen möchte. Da schrieb er oft und gerne über seinen Hund und dessen Ausscheidungen. In dieser eher monothematischen Phase fiel es mir schwer, mich auf seine Artikel zu freuen.

Jetzt ist Harald Martenstein zurück, so wie ich ihn kennengelernt und geliebt hatte:

Und wenn in der Schule keiner mehr die Chance hat, richtig Deutsch zu lernen, dann hat man ja auch das Ziel der Chancengleichheit verwirklicht, ohne Mühen und Kosten.
Was aber richtig lustig werden wird, hoffentlich erlebe ich das noch: Wenn die heute ausgebildeten Germanisten als Deutschlehrer und Germanistikprofessoren an den Start gehen, Hauptseminar »der aufstieg, der Piratenpartei Und die literatur«. (Aus „Der sibirische Tiger ist weniger bedroht als das Komma“)

Mit seiner Attacke auf das deutsche Bildungssystem im Allgemeinen und auf das unterirdische Niveau der Rechtschreibung unter den nachrückenden Generationen hat er mich wieder fest am Wickel, der Herr Martenstein. Ich werde nun sicher davon Abstand nehmen, einen seiner Artikel unauffällig beiseite zu schaffen, den mir Tochter 3.0 und die Herzschmerzdame im vergangenen Jahr von der Buchmesse mitgebracht hatten und der seither gerahmt an einem gewissen Örtchen hängt. Er bleibt hängen, obwohl es ein Kolumnentext aus seinen „Hundejahren“ ist.