Ein Freitagstexter

Freitagstexter

Am Mittwoch hat mich Pfefferoni mit der Verleihung des Freitagstexterpokals überrascht. Dies ist mir erstens eine sehr unerwartete Ehre – herzlichen Dank! – und zweitens der Auftrag, den Wettbewerb der nächsten Woche auszurichten.

Hier könnte Deine Bildunterschrift folgen!

Lasst Euren Fantasien freien Lauf: Bis zum Dienstag der kommenden Woche, Schlag Mitternacht, wartet das Kommentarfeld zu diesem Eintrag auf Eure lustigsten, schlagfertigsten, herbsten oder giftigsten Bildunterschriften, auf längliche oder kurze. Am Mittwoch suche ich mir in Dieter-Bohlen-Manier den tollsten Kommentar aus und gebe den Wanderpokal schweren Herzens weiter.

Ich wünsche viel Spaß und Inspiration!

PS: Folgt dem Freitagstexter bei Twitter.

Schachweltmeister?

In zehn Tagen beginnt in Moskau die Endrunde der Schachweltmeisterschaft 2012. In zwölf Partien wird geklärt, wer offiziell der weltbeste Schachprofi ist: Boris Gelfand (43), gebürtiger Russe und nationalisierter Israeli, fordert den indischen Titelhalter Viswanathan Anand (42), den „Tiger von Madras“, heraus.

Ex-Weltmeister Garri Kasparow bemängelt, dass nicht die weltbesten Spieler anträten: Magnus Carlsen, Ranglistenerster aus Norwegen, und Levon Aronian aus Armenien, Nummer zwei, sind nicht dabei. – Wen erinnert dieses Statement an die ausgeschiedenen Fußball-Spitzenclubs Barça und Real Madrid bei der aktuellen Champions League?

Interessant wird das Duell der Geistesriesen trotzdem mit Sicherheit. Ich bleibe für Euch dran. – Hang on, hier und beim Twitter!

Mein Auto, mein Smartphone, mein Netzwerk

Netzwerker-Golf an der Ampel

„Sponsored by Oma“ oder „Man gönnt sich ja sonst nichts“ – bei solchen Autoaufklebern konnte ich noch grinsen. Alledings habe ich das Gefühl, dass die Zeit der „Turnierkrokodile“, der New-York-Herzler und der Auch-für-Tiere-Bremser vorbei ist.

Der Kerl, der gestern in der Warteschlange am Bahnübergang vor uns stand, hat es aber geschafft, mich aus meiner Bumpersticker-Lethargie zu reißen; den makellos gepflegten (das müsste mir mal passieren!) und mäßig gepimpten weißen Golf GT zierten zwei dezente Lifestyleaussagen vom Apfel und dem Fatzebuch.

Das ist das neue „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“.

Frankophilie in Libertyville?

Das sogenannte smarte Telefon, auf dem ich einen Teil meiner Texte mit breitem Daumen tippe, weist Merkwürdigkeiten auf: Die Bildschirmtastatur zeigt in der Standardansicht das Alphabet in Schreibmaschinenversion. Hält man manche der Bildschirmtasten etwas länger gedrückt, blendet der Apparillo zusätzliche Zeichen zur gefälligen Auswahl ein; zum Beispiel die Umlaute, das Scharfe S, oder sogar das Ç.

So weit, so gut. Für Fremdsprachen gibt es unter anderem auch Vokale mit Akzenten, also etwa é, è, ê und ë. Dies gilt auch für die Akzentvarianten des i und des u. Allerdings nicht für a und o mit Akzenten. – Warum?

Ich kann mir das nur damit erklären, dass die Entwickler bei Motorola heimliche Freunde der französischen Sprache sind und hispanophile Kunden durch Fehlen von Akzent-a und Akzent-o in ihre Grenzen weisen wollen.

(Aus der Serie „gekonnt mobben für Anfänger“)

Un pokito de rocanrol

María Nieves Rebolledo Vila = Bebe

Besonders attraktiv ist sie nicht, sie raucht Kette (und das hört man ihrer Stimme auch deutlich an), sie lässt ihre Körperteile mit Metall perforieren – es gibt aus meiner sehr persönlichen Sicht wenige Gründe, die spanische Sängerin und Schauspielerin María Nieves Rebolledo Vila alias Bebe groupiehaft zu verfolgen. Aber mindestens einen ganz wichtigen Grund gibt es doch: Bebe macht absolut – mit Verlaub – geile Musik.

Dieses Adjektiv zur Musikqualität ist sonst wahrhaftig nicht mein Stil, aber es trifft hier nun einmal ganz genau den Punkt. Bebe schert sich nicht um Konventionen und Hörgewohnheiten. Bei ihr überraschen die Rhythmen bei jedem Stück aufs Neue, die Instrumente krachen und die Stimme der Sängerin wird eher als zusätzliches Instrument denn als Gehörgangsschmeichler eingesetzt. Ihre letzte und insgesamt dritte CD, Un pokito de rocanrol, ist gelinde gesagt kühn; ein Ansporn an den Hörer, alles Vorhersehbare, alles womöglich Erhoffte und alles Bequeme beiseite zu legen um in ein Album einzutauchen, das nicht mehr und nicht weniger bietet als äußerst kreative Musik.

Das ist zunächst ziemlich gewöhnungsbedürftig, und die meisten Ersthörer werden sich überwinden müssen, die Scheibe ein zweites und drittes Mal anzuhören. Wenn man aber einmal diese Hürde überwunden hat, kann man nicht mehr aufhören. Man hängt am Haken, wann immer Bebe zu einem ihrer musikalischen Rundumschläge ausholt. Mir ist es lange nicht mehr so ergangen, dass ich mich beim Durchhören einer Silberscheibe nicht entscheiden kann: soll ich den eben gehörten Song gleich nochmal anhören? Oder doch lieber mit dem nächsten weitermachen?

Das Erfolgsgeheimnis von Bebe ist zweifellos in ihren Songtexten zu suchen. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Sängerin außerhalb ihres Heimatlandes wenig bekannt ist, obwohl sie mit Kreativitätspreisen der Musik- und Kulturwirtschaft geradezu überhäuft wurde. Wer den Text nicht versteht, erlebt leider nur den halben Genuss. In Spanien ist Bebe ein Superstar, hierzulande musste man ihre Alben bis vor Kurzem vorbestellen.
Das besondere an den Texten besteht darin, dass die Sängerin einerseits Tacheles redet (dazu sage ich später noch etwas), andererseits Wörter und Silben wie Rhythmusinstrumente einsetzt. Das Stück Me pintaré zum Beispiel beginnt mit fast schon unmusikalischen Tonfolgen und steigert sich dann in einen maschinengewehrartigen Rhythmusgesang, der keinen textlichen Sinnzusammenhang aufweist, aber den anfangs im Sprechgesang skizzierten Inhalt perfekt widerspiegelt; es geht um Sex, um animalischen Sex, um empujones, arañazos, tirones, boca[d]os – um Stoßen, Kratzen, Ziehen und Beißen, das im rasenden Stakkato wiederholt wird.
Warnung: Spätestens beim zehnten Durchlauf ist es nicht möglich, dabei nicht mitzusingen!

Faszinierend ist, dass es Bebe immer wieder schafft, Sprache als Musikinstrument einzusetzen und mit ihren Texten gleichzeitig Aussagen zu verküpfen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, knallt in einem Stück ihrem Lebenspartner die Trennung hin (Adiós), liebt ihn im anderen (Me pintaré) und streitet mit ihm (Qué carajo). Abgründig und abschreckend ist die Beschreibung ihrer Nikotinsucht im letzten Song auf der Scheibe, Yo fumo.

Bebe spielt in einer komplexen, mehrschichtigen Art und Weise mit Sprache, angefangen mit der Verwendung von Straßenjargon bis zu einer reimartigen Kettung von Worten und Ausdrücken. Dass dem Zuhörer dabei vor Staunen die Spucke wegbleibt und dass das etwa einen „Wortmischer“ nicht kalt lässt, ist wohl klar. — Me ha enganchado, ich bin süchtig nach Bebe.

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María Nieves Rebolledo Vila wurde 1978 in Valencia geboren und wuchs in Extremadura auf, einer Region im Zentrum der iberischen Halbinsel an der Grenze zu Portugal. Ihr erstes Album erschien 2004 unter dem Titel Pafuera Telarañas (Raus mit den Spinnennetzen, oder übertragen: Weg mit den Verblendungen?), fünf Jahre später nach einem ausgiebigen Ausritt in die Schauspielerei ihr zweites, Y. (sprich: Y punto, Und Punkt). Wieder drei Jahre später und nach der Geburt ihrer Tochter Candela erschien Anfang 2012 Un pokito de rocanrol (Ein bisschen Rock’n’roll).
Nachtrag im März 2016: Vor einem halben Jahr, im Oktober 2015, erschien Bebes viertes Album unter dem Titel Cambio De Piel (Hautwechsel). Hinter der Scheibe steckt wirklich so etwas wie eine Häutung. Nachdem die dritte Platte im Vergleich zu Nummer eins und zwei vom Stammpublikum eher zögerlich aufgenommen wurde, kehrt Bebe mit Cambio de Piel wieder zu Stil (und zum Produzenten) der beiden ersten zurück.

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Bebe in den Weiten des Internetzes:

Zunächst wäre da Bebes Website (ES) mit dem lautmalerischen (da ist es schon wieder!) und kaum zu übersetzenden Titel La bebe bellota. Dann habe ich noch einen Artikel im spanischen Rolling Stone (ES) über die Entstehung des aktuellen Albums Un pokito de rocanrol aufgetrieben und den unvermeidlichen Wikipediaeintrag (ES) ausgegraben. Außerdem twittert (ES) Bebe und ist auch auf Facebook (ES) zu finden. Auf deutsch gibt es hingegen recht wenig Material über die spanische Rockikone: Die deutsche Fassung des Wikipediaartikels (DE) ist unergiebig, in der „Rocktimes“ habe ich einen aktuellen CD-Review (DE) von Günther Klößinger, in der Jahrgangsgeräuschen eine weitere von Zloty Vazquez (DE) gefunden. Der Künstlername ist beim Googol darüber hinaus eher Garant für das Auffinden jeglicher Art von Konsumgütern für Kleinkinder.

Rundet Deutschland auf?

War früher gang und gäbe: Wer an der Ladenkasse ein paar kupferne Pfennige Wechselgeld zurück bekam, steckte die Münzen in ein Sparschwein auf dem Tresen; das Angesparte spendete der Händler irgendwann für wohltätige Zwecke. Sagte er zumindest.

Der Plastikkartenzahler bekommt heutzutage ja keine Kupfermünzen zurück, kann aber seit März nun auch aufrunden und damit Gutes tun: Deutschland rundet auf und spendiert bei Kartenzahlungen jedes Mal ein paar Cent, die in soziale Projekte gesteckt werden.

Die Idee hat auf den ersten Blick ‚was. Wer aber genauer hinsieht, stößt rasch auf Ungereimtheiten. Einer der Handelspartner, bei dem Deutschland aufrunden kann, ist die Billigklamottenkette KiK. Auf der Aufrunder-Website schreibt KiK: „So viele namhafte Einzelhandelsunternehmen unter einem Dach und mit der Mission, Gutes zu tun. Da darf KiK mit seinen 2.600 Filialen in Deutschland nicht fehlen.“

Mindestens im Fall von KiK ist die Sache mit dem Guten ein reines Lippenbekenntnis. Der Verdacht, sich hier kostenfrei ein Saubermann-Image zulegen zu wollen, liegt nicht nur nahe, sondern wird Gewissheit, wenn man sich die Skrupellosigkeit der Unternehmensführung ansieht.

Verrückt oder schizophren: KiK beutet Mitarbeiter und Zulieferer nach Strich und Faden aus und wirbt gleichzeitig mit einer nur allzu durchsichtigen Gutmenschen-Mission.

Traurig daran ist, dass die Heuchelei im Falle KiKs offensichtlich ist, bei anderen Aufrunde-Partnern aber bestenfalls vermutet werden kann. Wieviele Missionare da wohl noch unterwegs sind und nach außen Kutte tragen, während sie hintenrum die Menschheit ficken?

Der Wimpernmann

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Auf dem Rasenplatz des FC Germania kicken die Kids in neongelben, viel zu großen Warnwesten. Gegenüber, im Biergarten, sitzen erste unerschrockene Gäste auf den Bänken unter laublosen Bäumen in der kalten Abendluft. – Vorfrühling in Frankfurt.

Ich setze mich in Hörweite eines Pärchens an einen der Biertische und betrachte den orange getönten Himmel. In Blickrichtung auf dem Dach des malerischen Anbaus des Lokals liegen zwei Rechen; ja, Rechen: „Rechen“, so wie „Sensen“. Kalkulierte Romantik. Die Saison steht in den Startlöchern.

Das Pärchen, Anfang fünfzig vielleicht, oder Ende vierzig, schweigt sich gegenseitig an mit Leichenbittermienen. Sie sehen konsequent aneinander vorbei, rauchen zerstreut. Er beugt sich irgendwann nach unten, fegt Staub von ihren schwarzen Wildlederstiefletten. Sie ächzt tonlos: „Lass!“

Ich bestelle ein Bier und warte auf Dialog, der weiterhin nicht stattfindet. Er hat sagenhaft lange Wimpern, die ständig blinzeln. Ist er womöglich den Tränen nahe?

Kommt schon, denke ich. Was ist denn los? – Es wird rasch kälter. Drüben krächzen die Fußballer über den Platz wie Neonkrähen.

Ehekrise? Pubertäres Kind auf Abwegen? Aktienpaket auf Insolvenzkurs? – Auf solche Gedanken kann man nur in Mainhattan kommen.
Der Wimpernmann steht auf und geht. Die Black-Suede-Shoe-Frau folgt ihm noch immer sprachlos.

Früchlingserwachen in der Finanzmetropole. Auch ich erhebe mich und betrete lieber das Lokal. Wenigstens ist es angenehm warm dort drinnen.