Freitags: Text statt Fisch

Freitagstexter

Herrn Bee aus der Zynästhesie hat einer meiner Vorschläge zur Untertitelung seines Fotos aus der letzten Freitagstexter-Runde gefallen, so dass ich mir den Pokal heute zum mittlerweile dritten Mal ins Regal stellen darf. Ich sage Vergelt’s Gott, das freut mich wirklich sehr. Und ich gebe mir auch alle Mühe, Euch für die kommenden fünf Tage ein möglichst inspirierendes Rätselbild als Beschriftungsvorlage aufzugeben.

Passt auf, jetzt seid Ihr dran!

Mujer serpiente

Das Foto stammt – wie bei mir üblich – aus unbekannten Quellen und ist mir per E-Mail zugegangen. Sieht man sich das Lokalkolorit auf dem Bild an, kann man wohl den Rückschluss ziehen, dass Fotograf und Modell inzwischen betagtere Greise sein dürften; dass das Schoßtierchen noch am Leben ist, darf bezweifelt werden.

Damit gebe ich den Ring frei: Das Kommentarfeld unter diesen Zeilen wartet bis Dienstagnacht auf Eure Bildunterschriften. Schlag Mitternacht werde ich Geister beschwören, die mir bei der Besetzung des Siegertreppchens behilflich sein werden, damit die Wanderhure der Wanderpokal pünktlich am Mittwoch der kommenden Woche an die oder den Nächste(n) weiter gereicht werden kann. Einen Verweis auf Regeln oder Beispiele erspare ich Euch und mir, die kann man bequem in fast allen Vorrunden nachlesen.

Möge der/die/das Schlagfertigste gewinnen!

Schöne Dinge, die niemand braucht

Ich gebe zu, dass ich gerne in diesen hippen Katalogen blättere. Angefangen hatte es vor Jahren mit der ProIdee. Bis mir irgendwann der ganze Schnickschnack dort zu billig wurde. Also man missverstehe mich jetzt bitte nicht. Ich bin kein Rockefeller und „billig“ im Sinne von „niedrigpreisig“ fand ich nicht einen einzigen Artikel der Kataloge. Vielmehr war es die offensichtliche oder zumindest vermutete Qualität der Produkte, die ich billig fand: Ramsch aus Fernost, meist aus der Techieecke, organisiert in einer Art virtueller Kaffeefahrt auf Katalogbasis für junge oder vermeintlich jung gebliebene Menschen. Selbst nach zwanzig Jahren kommen diese Hochglanzdruckwerke noch immer per Post zu uns, aber mittlerweile findet noch nicht einmal mehr Sohn 2.0 Gefallen an ihnen. (Allerdings räume ich eine gewisse Schwäche für den Geruch der Hefte ein, wenn ich sie frisch aus dem Plastikumschlag zerre. Vielleicht sollte ich es mal mit Pattexschnüffeln versuchen?)

Ab einem bestimmten Alter landet der Katalogfetischist zwangsläufig bei Manufaktum, diesem Laden, der mit seiner offen zur Schau getragenen Rückständigkeit auf Kundenfang geht,  mit seinem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“, und mit Preisen, bei denen man zunächst vermutet, je ein Dutzend der „guten Dinge“ zu erstehen, bevor man feststellt, dass es sich um Einzelstückpreise handelt. Ich habe übrigens keine Ahnung, wie der Manufaktum-Katalog seinen Weg in unseren Haushalt gefunden hat. Genau so wenig weiß ich, woher der Konkurrent Biber und neuerdings auch noch die Kollegen von Ikarus auf meine Existenz aufmerksam wurden. Bestellt habe ich bei keinem der drei, noch nicht einmal den Folgekatalog. Nicht ein Stück aus deren Sortimenten hätte ich mir leisten können oder auch nur wollen. (Aber wahrscheinlich hat das Einwohnermeldamt meine Kontaktdaten verhökert.)

Trotzdem lese ich immer wieder gerne die gediegenen Produktbeschreibungen, die gewiss von gediegenen Textern stammen, sehe mir dazu die sauber ausgeleuchteten Abbildungen an und nehme diesen unterschwelligen Kitzel wahr, der mich immer dann beschleicht, wenn ich wieder einmal daran denke, was es alles gibt, was ich nicht brauche, das aber offenbar jede Menge Käufer findet, denn sonst gäbe es doch all diese Druckwerke nicht. Und ab und an finde ich ja auch die eine oder andere Perle, wie ich sie unlängst schon als @wortmix in die unüberschaubare Menge meiner sieben Follower geworfen hatte:

Hipsterin in der Sinnkrise

Ikarus bietet auf Seite 102 seines Katalogs diese sensationelle Hipsterin, die nicht etwa über das Schlafsofa „Idouble“ sondern unerwartet über die Sinnfrage gestolpert zu sein scheint. Grandios!

Apropos „grandios“: Wirklich außergewöhnlich geschäftstüchtig sind die Leute von Ikarus, das muss man ihnen lassen. In ihrem Katalog versuchen sie nicht nur, den Lesern ihr hippes Brimborium anzudrehen. Sie gehen einen Schritt weiter und schnorren die Leute unverbrämt an. Wer sich mit einer Einlage von mindestens 8.000 Euronen an Ikarus beteiligen will, bekommt dafür eine Rendite von 7 Prozent pro Jahr in Aussicht gestellt sowie einen Teilhaberrabatt von 10 Prozent auf jede Bestellung. Sehr clever gedacht, meine Herrn. Denn wer erst in den Laden investiert hat, der kauft bestimmt nicht mehr bei der Konkurrenz.

Aber die schläft natürlich auch nicht, die Konkurrenz. Ausgerechnet der Prähistoriker unter den Produktversendern, Manufaktum, ködert seine Kunden mit einer eigenen iPad-Äpp. Die verlinkte Seite ist übrigens wirklich lesenswert. Erst schwadroniert man dort über Begrifflichkeiten der „Apple-Sprache“, erläutert im Anschluss in epischer Länge und Bebilderung die Gründe, die für die Produktpräsentation auf dem iPad sprechen, nur um zu guter Letzt auf die grundsätzlichen Mängel der Apple-Konzepte hinzuweisen und zu begründen, warum man selbst keine iPads zum Kauf anbieten wolle, obwohl man die passende Äpp bereit halte.

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Schöne neue, alte Welt!

Eingewickelt

Ja, ich bin weiß schon: Ich bin ein leichtgläubiger Trottel. Jeder, der schon mal bei Amazon bestellt hat, beherzigt den wichtigsten Grundsatz: Buch aus der Verpackung nehmen und so schnell wie möglich den ganzen mitgelieferten Werbekram in den Papiermüll entsorgen. – Nur ich wieder nicht.

Genau. Da strahlt mich dieser Hochglanzzettel an, melde Dich bei Audible an, hol Dir für umme ein Hörbuch Deiner Wahl. Dann biste im Club, herzlich willkommen, und kriegst Monat für Monat ein weiteres Hörbuch für schlappe 9.95 Euronen. Egal wieviel die laut Preisliste sonst kosten sollen.

Prima, denk ich, bin ja jetzt in dem Alter, in dem man sich gerne vorlesen lässt. Weil ja die Augen nicht mehr so mitmachen wie früher. Also toll, oder?

Ich registrier mich, „kaufe“ für null Euro so ’nen Thriller, von Beckett, sowas mit Chemie des Todes, und freu mich schon wie der Schneekönig darauf, beim Werkeln oder Rasieren oder Pendeln schick einen vorgelesen zu bekommen. Hörbuch aufs Smartphone und ab die Post. Super, denk ich.

Aber jetzt pass auf! Ich will das Teil runterladen und schwupps rüber aufs Androidphone. Denkste! Heidenei, erst muss da so ’ne Managementsoftware auffen PehZeh, und dann kommen endlich Hörspieldatei eins und zwei in einem komischen .aa-Format an, mit dem mein Phone rein gar nichts anfangen kann.

Was kann man da machen, sinniere ich und guck mal rein ins Netz der Netze. Na klar, da muss ich mir iTunes auffen PehZeh tun und die Dateien auf CD brennen und dann auf MP3-Format rippen. – Boah! Ich und iTunes? Habt Ihr sie noch? Und warum erst auf CD? Irre!

Also so macht Ihr mit mir kein Geschäft, Ihr Amazonen. Das muss anders werden. Ich bezahl ja gern, wenn Ihr mir ein knackiges Angebot macht. Aber dann will ich das Gesülze schon auch so anhören, wie und wo ich will.

Hömma, Doh. Oder?

Herr Albert kauft Leuchtmittel

Herr Albert hatte sich gerade auf dem Toilettensitz niedergelassen und die Magazinbeilage der Süddeutschen Zeitung aufgeschlagen, als das Licht ausging. Mit einem britzelnden Geräusch hauchte die Glühbirne in der Deckenlampe ihr Leben aus, und Herr Albert saß im Finsteren.

Leuchtgarantie 12 Jahre

Leider führte ein Blick in den Schuhkarton, in dem Herr Albert Ersatzbirnen aufbewahrte, zu der Erkenntnis, dass alle Reserven aufgebraucht waren. Also machte sich Herr Albert nach Feierabend am nächsten Tag auf, den örtlichen Baumarkt zu besuchen, um Leuchtmittel-Nachschub zu besorgen. Am Regal mit den Glühbirnen verbrachte er schließlich fast eine ganze Stunde, in der er unter heftigem Kopfkratzen und Schulterzucken abwechselnd die Preisschilder an den unterschiedlichen Lampenarten in Augenschein nahm und die Testlampen über dem Regal betrachtete. – 9,95 Euro für eine einzige 20-Watt-Energiesparbirne, die angeblich so hell leuchten sollte wie ein herkömmliche 92-Watt-Glühbirne, wenn es eine solche jemals gegeben hätte? War das nicht Wucher?

Erst als eine Lautsprecherdurchsage ankündigte, der Baumarkt werde in zehn Minuten schließen, raffte sich Herr Albert zu einer Entscheidung auf. Den Ausschlag hatte ein Aufdruck auf dem Verpackungskarton der teuren Energiesparlampe gegeben: 12 Jahre oder 12.000 Stunden Garantie! Nicht ohne Mühe aber fehlerfrei hatte Herr Albert ausgerechnet, dass er mit dieser Lampe langfristig Geld einsparen würde. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, hatte eine der alten 100-Watt-Birnen zuletzt zwar nur knapp einen Euro gekostet, war aber zuverlässig nach einem Jahr durchgebrannt. (Mit der Nachbarsbirne, kalauerte Herr Albert in Gedanken, denn er hatte schließlich Humor.)
Bei einer Leuchtdauer von 2 Stunden täglich hatte die Altbirne in ihrem kurzen Lebensjahr Strom im Wert von 17 Euro verbraucht. Die neue 20-Watt-Sparlampe würde in einem Jahr nur ein Fünftel der Verbrauchskosten verursachen. Auf 12 Jahre gerechnet würde Herr Albert also pro Lichtquelle ungefähr 160 Euro einsparen. – Diese Rechnung hatte ihn überzeugt, er kaufte als letzter Kunde des Marktes an diesem Abend Energiesparlampen im Wert von 243 Euro und 80 Cent.

Nachdem er mit sich und der Welt zufrieden die neue Turbobirne in das Gewinde der Badezimmerdeckenlampe geschraubt, versonnen ihre Leuchtkraft bewundert hatte und die leere Schachtel zusammen mit dem Kaufbeleg in den Papiermüll entsorgen wollte, erkannte Herr Albert im allerletzten Moment, dass er um ein Haar einen unverzeihlichen Fehler begangen hätte. Denn seine Rechnung würde ja nur dann aufgehen, wenn die Birne tatsächlich zwölf Jahre aushielt. Was aber würde passieren, wenn die eine oder andere seiner Sparbirnen vorzeitig schlapp machte? Zwar stand das Garantieversprechen auf die Schachteln gedruckt, aber wer würde sich in neun, zehn oder elf Jahren noch daran erinnern?

Als Mann der Tat fasste Herr Albert einen mutigen Beschluss. Er nahm einen Faserstift zur Hand, drehte die neue Lampe noch einmal aus der Fassung und beschriftete den Sockel mit seiner gestochen scharfen Handschrift: “000001E27”.
Die gleiche Zeichenfolge übertrug er auf die Pappe der leeren Schachtel, faltete diese zusammen und legte sie in einen der leeren Schuhkartons, die er stets zur Hand hatte für Notfälle wie diesen. Auf die Baumarktquittung schrieb Herr Albert den Code “R000001”, nummerierte die einzelnen Rechnungspositionen von oben nach unten mit “001” bis “025” durch und legte den Beleg zur Schachtel in den Karton. Danach schaltete er seinen Computer ein und legte im Tabellenkalkulationsprogramm ein siebenspaltiges Blatt an: Lampennummer, Kaufdatum, Belegnummer, Belegposition, Datum Inbetriebnahme, Ort Inbetriebnahme, Sterbedatum tippte er in die Kopfzeile. In der ersten Zeile darunter trug er den Datensatz seiner ersten Energiesparlampe ein. Die letzte Spalte mit dem Todesdatum der Lampe ließ er frei.

Garantieabsicherung per Spreadsheet

Als er sein Werk auf dem Bildschirm betrachtete, fühlte Herr Albert, wie Vorfreude sein Inneres warm erglühen ließ. Sollte es im Badezimmer während der Lektüre seiner Zeitungsbeilage irgendwann vor dem September 2024 noch einmal finster werden, dann würde er bei der Firma Philips rigoros Ersatz einklagen. Die sollten sich nur in Acht vor ihm nehmen!

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In der gleichen Nacht träumte Herr Albert von einer Archivierungs-Äpp für das iPhone, mit der er seine Leuchtmittelkäufe künftig automatisiert und revisionssicher dokumentieren und administrieren würde können. Ach, welch schöne neue Welt.

1001 aufblasbare Nächte

Miracoco, Collage

Muss ich noch nachreichen. Weil ich doch im Juli in München auf dem Woodstock Tollwood Festival war. Und weil das Sommerwetter eher suboptimal war, mit ständigen Schleusenöffnungen Petri als Überraschungen für unbeschirmte Flaneure.

Und genau während einer dieser Schauerlichkeiten haben wir uns dann in das Knubbelzelt von Miracoco geflüchtet, nicht ohne dass man uns vor dem Eintritt die Schuhe von den Füßen gezogen hätte. Ich kam mir vor wie bei meinem ersten Besuch bei Bekannten in der DDR.

Miracoco, Bild 2

War dann aber drinnen schwer beeindruckt. Alles rund, keine Ecken. Von Licht durchflutete Kuppeln und Hallen, dunkle Durchgänge. Ein Gefühl der Unwirklichkeit, wenn man Gestalten in einer der Nischen kauern sah.

Urplötzlich fühlte ich mich versetzt in eine US-amerikanische Fernsehserie mit dem Titel Time Tunnel, die vor Urzeiten im deutschen Fernsehen lief und die ich als angehender Teenager auf unserem ollen Schwarzweißgerät gucken durfte, schwer erkämpfter Maßen.

Aber zurück ins Miracoco-Zelt. Das ist einer dieser Orte, an denen wir modernen Cyborgs automatisch die Kamerafunktion ausfahren, weil es uns nicht reicht, zu schauen und zu staunen. Weil wir glauben, wir könnten unser Staunen übertragen auf andere: Seht doch mal her! Habt ihr sowas Tolles schon mal gesehen?

Ich befürchte zwar, das funktioniert nicht, das Übertragen von Stimmungen. Trotzdem müsst Ihr jetzt da durch.

Miracoco, Bild 3

Wer auch mal in die aufblasbare Zeitmaschine will, erfährt Näheres bei den Luftarchitekten.

Steifftierchens Albtraum

Mehr und mehr beginne ich an der kollektiven Geistesgesundheit unserer Gesellschaft zu zweifeln; um nicht zu sagen: an ihr zu verzweifeln. Kopfschüttelnd nahm ich bereits die Hexenjagd auf Raucher zur Kenntnis, die einerseits begleitet von missionarischem Eifer der Gesundheitsapostolik, andererseits jedoch abgeschwächt wurde von der Geldgier tabaksteuerbegeisterter Finanzbeamter. Damals ließ ich mich noch durch das Argument der Belästigung durch Passivrauchen überzeugen, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum man Nikotinjunkies nicht ihre Raucherclubs lässt.

Weniger Verständnis bringe ich schon der vehement geführten Debatte entgegen, in der die rituelle Beschneidung männlicher Kinder als Körperverletzungsdelikt gebrandmarkt wird. Und als ich heute eine Nachricht von Uwe Vetter las, nach der ein deutsches Gericht das Ohrlochstechen bei Kindern unter 14 Jahren als potentielle Körperverletzung einstuft, verfallen ich in ungläubige Starre.
Ich erinnere mich an die Geburt meiner Tochter vor fast 20 Jahren. In dem Raum einer spanischen Geburtsklinik, in dem unzählige Kinderbettchen standen, konnte man die neugeborenen Mädchen von den Jungs schlicht daran unterscheiden, dass sie bereits wenige Tage nach der Geburt Ohrstecher in ihren winzigen Ohrläppchen trugen.

Ich bezweifle, dass spanische Frauen traumatisiert sind durch ihre frühen Erfahrungen mit Ohrpiercings. Aber ich bin überzeugt davon, dass deutsche Gerichte sich auf einen sehr gefährlichen Pfad begeben, wenn sie die bürgerlichen Freiheiten in immer stärkerem Maße beschneiden. – Denn nicht zufällig sind wir an dieser Stelle genau bei der Vokabel gelandet, die Objekt der aktuellen Regelwut ist: bei der Beschneidung. In diesem Fall bei der Beschneidung von Rechten, von Entscheidungsfreiheit, von Eigenständigkeit.

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Ich erwarte jetzt übrigens zeitnah eine Initiative zur Helmpflicht für Fußgänger. Ist die nicht längst überfällig?