Ich hatte früher mal ein ziemlich gutes (musikalisches) Gehör; und der Musiklehrer an unserer Schule ein Faible für sogenannte „Notendiktate“: Er gab die Startnote vor, zum Beispiel ein eingestrichenes F, und klimperte dann langsam eine Sequenz von Tönen am Klavier vor sich hin. Die Prüfungsaufgabe der Schüler*innen bestand darin, die Folgetöne auf Notenpapier „mitzuschreiben“.
Ich saß ganz links außen in der Stuhlreihe und hatte keine Probleme, die angespielten Noten zu identifizieren und aufzumalen. Mein Nachbar und bester Freund schielte nach links und kopierte, was es bei mir zu erhaschen gab. Das gleiche machten alle anderen in unserer Sitzreihe: Einer schrieb vom anderen ab. Von links nach rechts.
Das musikalische Resultat: Ich hatte alle Noten korrekt notiert. Von links nach rechts wurde das Ergebnis beim Abschreiben aber immer schlechter. Das schnallte der Musiklehrer beim Korrigieren natürlich sofort. Also bekam die ganze Sitzreihe wegen Unterschleifs eine glatte fünf. Nur ich bekam eine satte sechs. – Yeppah!
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Fürs Abschreiben gibts bei Jules keine Strafe sondern Lob. Wir haben uns einem Kapitel aus dem Philobiblon, einem „Buch von der Bücherliebe“ des Bischofs von Durham aus dem 14. Jahrhundert, gewidmet und die uns zugedachten Abschnitte fein säuberlich abgeschrieben:
Die gesamte Aktion mit den Werken aller Kopisten findet Ihr im Teestübchen Trithemius. Viel Vergnügen, ein Blick auf die vielen unterschiedlichen Handschriften lohnt sich allemal in diesen unseren Zeiten der Computerschrift. Ich finde diesen Ausblick auf verschiedenste Schreibereien sehr toll \o/
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Ein Zweifel im Zusammenhang mit dem Text immerhin konnte seit gestern ausgeräumt werden. Herr Nömix aus der Amtsstube hat zielsicherer recherchiert als ich und hat heraus gefunden, was es mit diesem Sethimholz auf sich hat:
Sethimholz = Setimholz = Sittimholz = Akazienholz = Förenholz. Na sowas.
„Die Bretter der Wohnung waren von »Förenholz«, d. i. von Akazienholz oder Sittimholz. Es ist dies ein leicht tragbares Holz, das sehr hart, unverweslich, von schönem Glanze und lieblichem Geruche war. […] Dieses Förenholz war unverweslich. Unverweslich war Christus nach seiner göttlichen Natur, er konnte nicht sterben; nach seiner menschlichen Natur ebenfalls, da heißt es: »Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe«. Das Holz war leicht zu tragen, und so läßt unser Mittler sich leicht sein, wenn seine Priester ihn hintragen sollen, wo der Vater ihn hinhaben will. Es war von schöner, weißer Farbe. So war Er schön. »Mein Freund ist rot und weiß«, spricht die Braut im Hohenliede. Das Holz war wohlriechend; und: »Dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe« spricht abermals die Braut. Das Holz hat Dornen getragen; auch er trug die Dornenkrone, wie es von ihm heißt: »Schauet an, ihr Töchter Zions, den König Salomo, in der Krone, damit ihn seine Mutter gekrönet hat am Tage seiner Hochzeit«.“
Die Stiftshütte und ihre Geräte, H. F. Kohlbrügge, 1857
Es ist auch wegen des kopierten Textes aus dem Philobiblon leicht zu raten, was damals alles aus Sethim-, Setim-, Sittimholz hergestellt war: Die sagenhafte Bundeslade etwa, der heilige Schrein der Israeliten mit den Gesetzestafeln Mose. Auch die Arche Noah dachte man sich verschiedentlich aus lignum setim.
Dank Jules‘ Kopistenprojekt sind wir also wieder ein ganz kleines bisschen schlauer geworden, Gott sei’s getrommel und gepfiffen ;-)